„Dahlem“ war im Kirchenkampf umstritten

Vor 80 Jahren tagte die Zweite Bekenntnissynode der DEK in Berlin-Dahlem. Sie brach mit der deutsch-christlichen Amtskirche

Quelle: Die Kirche, Nr. 42, Berlin 19. Oktober 2014, S. 5
Von Hartmut Ludwig

In einer politisch schwierigen Lage trat die Zweite Bekenntnissynode der DEK am 19./20. Oktober 1934 in Berlin-Dahlem zusammen. Sie zog aus der Barmer Theologischen Erklärung vom Mai 1934 die kirchenrechtlichen Konsequenzen und brach mit der deutsch-christlichen Amtskirche. Vom NS-Staat forderte sie, dass die Kirche in Lehre und Ordnung allein entscheidet. Sie berief sich auf das kirchliche Notrecht und setzte den „Rat der DEK“ als Leitung für die gesamte Bekennende Kirche in Deutschland ein. Dem sechsköpfigen Gremium gehörten die Theologen Martin Niemöller und Karl Barth an. „Barmen“ und „Dahlem“ bildeten die Grundlage der Bekennenden Kirche.

Kirchenhistoriker Klaus Scholder, Gerhard Besier oder Kurt Meier kritisierten die Beschlüsse der Synode als Werk einer Minderheit, die ohne Rücksicht auf die Mehrheit handelte. Es ist offensichtlich, dass sie ihre eigene Sicht in die Geschichte zurückprojizierten.
Zur entgegensetzten Bewertung kamen 1934 Zeitgenossen sowie Historiker und Theologen, die sich auf den Weg der Bekennenden Kirche eingelassen haben: Eberhard Bethge, der Bonhoeffer-Biograf, oder Günther van Norden, der rheinische Zeithistoriker. Die Beschlüsse der Bekenntnissynode wurden 1934 in ganz Deutschland mit großer Erleichterung und Zustimmung aufgenommen.

In der Pariser Exilzeitschrift „Das neue Tage-Buch“ verglich Leopold Schwarzschild die „Dahlemer Botschaft“ mit Martin Luthers 95 Thesen: Hier „wurde die Spaltung des deutschen Protestantismus vollzogen.“ Die Synode wollte die Bekennende Kirche aus der babylonischen Gefangenschaft des NS-Staates befreien. Das war für ihre gesellschaftlich relevante Existenz in der Welt von großer Bedeutung. Den Schritt in die Freikirche ging sie jedoch nicht.

Über das Scheitern der Gleichschaltungsbemühungen der Deutschen Christen war Reichskanzler Adolf Hitler wütend: „Rechtswalter“ August Jäger wurde  entlassen und Reichsbischof Ludwig Müller musste alle entsprechenden Gesetze zurücknehmen. Hitler ließ die Deutschen Christen fallen. Er lud die Bischöfe Hans Meiser, Theophil Wurm und August Marahrens am 30. Oktober nach Berlin ein. Sie versicherten ihm, dass sie den „Rat der DEK“ absetzen und die Kirche wieder selber führen würden.

Im November folgten drei aufregende Sitzungswochen in Berlin. Bischof Meiser drohte im Reichsbruderrat, die Lutheraner aus der Bekennenden Kirche zurückzuziehen, wenn Niemöller und Barth in der Leitung blieben. Statt den Bruch zu akzeptieren, versuchten leitende Theologen der Bekennenden Kirche mit allerlei Kompromissen die Einheit der Bekennenden Kirche zu erhalten. Ohne die Synode nochmals einzubeziehen, wurde am 22. November 1934 der „Rat der DEK“ durch die „Vorläufige Kirchenleitung“ ersetzt. An ihre Spitze trat Bischof Marahrens, der kein Mitglied der Bekennenden Kirche war, dafür aber beste Beziehungen zur NS-Regierung hatte. Niemöller und die Reformierten Barth, Hermann Hesse und Karl Immer traten aus dem Reichsbruderrat aus.

Unter der Leitung von Marahrens wurden die Beschlüsse von „Barmen“ und „Dahlem“ zweitrangig. Die Bekennende Kirche beteuerte weiter dem NS-Staat ihre politische Zuverlässigkeit. Obwohl Dietrich Bonhoeffer, Marga Meusel, Elisabeth Schmitz gemahnt hatten, sich für die rassisch Verfolgten einzusetzen, fand die Bekennende Kirche „für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz“ und schwieg „zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit“, schrieb Karl Barth 1935.

Als der NS-Staat Hanns Kerrl als Kirchenminister einsetzte, um die Bekennende Kirche zu kontrollieren und zu verbieten, wollte Marahrens das „Angebot“ des Staates, den Kirchenkampf zu beenden, annehmen. Dagegen forderte Martin Niemöller die bedingungslose Ablehnung des Ministers und die von ihm eingesetzten Kirchenausschüsse. Die Folge war die endgültige Spaltung der Bekennenden Kirche im Februar 1936 in einen bruderrätlichen und einen lutherischen Flügel mit je eigener Leitung.

Nur die jungen Theologen und Theologinnen der Bekennenden Kirche gingen den entsagungsvollen Weg von „Barmen“ und „Dahlem“. Weil sie nur die Bruderräte als ihre Kirchenleitung anerkannten, waren sie für die Konsistorien nicht existent, kirchenrechtlich „illegal“. Deshalb wurden für sie 1935 eigene Prüfungsämter, Predigerseminare und Kirchliche Hochschulen eingerichtet. Der bruderrätliche Flügel versuchte – zaghaft – politische Opposition: 1936 wurden in der Denkschrift für Hitler die Erziehung zum Antisemitismus, Konzentrationslager, Wahlfälschungen, Willkür in Rechtsfragen und der Führerkult kritisiert.

1937 saßen hunderte Pfarrer und Mitarbeiter im Gefängnis, weil sie verbotene Kollekten für die Arbeit der Bekennenden Kirche gesammelt hatten. Obwohl Reichsführer-SS Heinrich Himmler die theologische Ausbildung durch die Bekennende Kirche verboten hatte, setzte sie diese Arbeit fort, bis die dafür Verantwortlichen verhaftet wurden.

Grenzen des Lernprozesses wurden deutlich, als man erkannte, dass der NS-Staat, nicht nur die Deutschen Christen, Gegner waren. Verbote, Verhaftungen, Ausweisungen führten dazu, den Anspruch von „Dahlem“ teilweise oder ganz aufzugeben und sich auf eine „innere Linie“ zurückzuziehen. Als während des Krieges bekannt wurde, dass die Nazis nach ihrem Sieg die Kirche in einen Verein umwandeln und ihre Rechte massiv begrenzen wollten, forderte Bischof Wurm, alle theologischen und kirchenpolitischen Differenzen zurückzustellen, um dagegen eine Abwehrfront zu bilden. Obwohl der Sieg der Nazis 1945 ausblieb, hielten die Landeskirchen am „Einigungswerk“ Wurms fest.

Auch in Berlin reaktivierte Otto Dibelius die Rechtssetzung aus der Zeit vor 1933. Wer sich besonders für die bruderrätliche Bekennende Kirche eingesetzt hatte, wurde bei der Verteilung der Ämter jedoch übergangen. Die bisher „illegalen“ Theologen und Theologinnen wurden durch einen Verwaltungsakt „legale“ volkskirchliche Pastoren. So wurde die Bekennende Kirche von „Barmen“ und „Dahlem“ zu einer Episode einer vergangenen Zeit.

1952 schrieb der Theologe Hans Joachim Iwand, dass die Beschlüsse von „Dahlem“ wieder aufgenommen werden müssten, wenn „die Kirche Jesu Christi innerhalb der Gesellschaft von heute und morgen das sein soll, was ihr Name besagt.“
 

 

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