Jesus durfte kein Jude sein
In: Die Kirche Nr. 18, 4. Mai 2014, S. 3
Von Hartmut Ludwig
Die Deutsche Christen verfälschten in einem „Entjudungsinstitut“ das Neue Testament. Mit traurigem Erfolg – die Nachfrage war enorm
Vor 75 Jahren kamen auf der Wartburg in Eisenach Vertreter deutschchristlicher Landeskirchen zusammen, um das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ zu eröffnen: am 6. Mai 1939. In seinem Eröffnungsvortrag sagte der Theologieprofessor und Leiter Walter Grundmann: „Aus diesem Grund ist der Gegensatz gegen das Judentum geradezu die Voraussetzung für die Erkenntnis und Verwirklichung des völkischen Gedankens und damit des Anbruchs einer neuen Epoche innerhalb der Weltgeschichte. Deshalb ist dem deutschen Volk der Kampf gegen das Judentum unwiderrufbar aufgegeben.“ Wo Martin Luther 1521/22 das Neue Testament ins Deutsche übersetzt hatte, beschlossen Deutsche Christen, die Reformation für die Menschen des „Dritten Reiches“ weiterzuführen.
Als der NS-Staat 1933 seine jüdischen Bürger entrechtete, erwiesen sich die Deutschen Christen (DC) als willige Helfer. Als er 1938 begann, Deutschland „judenrein“ zu machen, waren sie bereit, ein „judenreines“ Christentum zu schaffen. Am 4. April 1939 erklärten die Leiter der elf DC-Landeskirchen: „Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum.“ Zum Nachweis dieser These gründeten sie ein Institut.
Bereits einen Monat später fand die Eröffnung in Eisenach statt. Den Festvortrag „Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche“ hielt Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und Völkische Theologie in Jena. Er behauptete, die Erkenntnis jüdischer Wurzeln und Einflüsse im Alten und Neuen Testament versperre „für unzählige deutsche Menschen den Zugang zur Bibel“. Deshalb müsse für Theologie, Kirche und Gemeinde ein neues Verständnis der Schrift erarbeitet werden.
Was er und seine Mitstreiter unter Reformation in der Gegenwart verstanden, war die Beseitigung aller Hinweise, dass das Christentum vor 2000 Jahren aus dem Judentum hervorgegangen ist. Die Aufgabe des Instituts bestehe darin, erstens das Neue Testament von seinen judenchristlichen Umformungen und Zusätzen zu befreien. Zweitens: eine „Gottesdienstordnung der Deutschen“ ohne Zionismen in Liturgie und Liedgut zu schaffen. Drittens: das Kirchenrecht auf neue Grundlagen zu stellen und viertens: den Vorwurf völkischer Gruppen zu widerlegen, dass das „Christentum Judentum für Nichtjuden“ sei. Leiter des Instituts wurde Siegfried Leffler, der 1928 mit seinem Freund Julius Leutheuser in Thüringen die „Kirchenbewegung Deutsche Christen“ gegründet hatte. Inzwischen war daraus eine Sammlung radikaler Deutscher Christen mit dem Namen „Nationalkirchliche Einung“ entstanden. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts wurde der Theologieprofessor Walter Grundmann. Aus dem langen Namen des Instituts wurde Ende 1939 das Wort „und Beseitigung“ gestrichen. Der Grund dafür ist nicht eindeutig überliefert. Stattdessen sprach man nun zynisch vom „Entjudungsinstitut“.
Das Arbeitsprogramm bestand aus über vierzig Forschungsaufträgen, die im Laufe der nächsten Jahre von etwa 180 ehrenamtlichen Mitarbeitern bearbeitet wurden. Zu ihnen gehörten angesehene Professoren und junge Akademiker sowie kirchliche Amtsträger. Dazu kam der Kreis von Förderern des Instituts. Die Ergebnisse wurden auf Tagungen vorgetragen und in Studienbänden veröffentlicht. Vier Schwerpunkte sind besonders zu erwähnen: 1. das bearbeitete Neue Testament mit dem Titel „Die Botschaft Gottes“ (1940), 2. das DC-Liederbuch „Großer Gott wir loben dich“ (1941), 3. der Katechismus „Deutsche mit Gott“ (1941) und 4. ein Lebensbegleitbuch, das aber infolge des Weltkrieges nicht mehr gedruckt wurde.
Wir können uns hier nur mit der „Botschaft Gottes“ befassen. Die 27 Schriften des Neuen Testaments wurden in viele kleine Einheiten zerlegt und – wie ein Puzzlespiel - in vier Hauptteilen neu zusammengesetzt: 1. „Jesus der Heiland“: eine Evangelienharmonie aus den Synoptikern, 2. „Jesus der Gottessohn“: die Bearbeitung des Johannesevangeliums, 3. „Jesus der Herr“: eine relativ willkürliche Auswahl von Briefen aus dem Umkreis von Paulus, 4. „Das Werden der Christusgemeinde“: Teile der Apostelgeschichte und der Briefliteratur.
Alles, was jüdisch klang, wurde gestrichen
Vergleicht man den Text des Neuen Testaments mit dem der „Botschaft“, erkennt man, dass die Bearbeiter den Text nicht nur neu übersetzten, sondern ihn durch Umstellungen der Kapitel, durch Zusätze und Streichungen, die sie nicht kennzeichneten, grundlegend veränderten. Alles, was jüdisch klang, wie der Hinweis auf die Stadt Davids, wurde gestrichen. Die „Botschaft“ setzte mit der bearbeiteten Weihnachtsgeschichte Lukas 2,1-20 ein. Gekürzt wurde Lukas 2,4b: Joseph wanderte „in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechts Davids war.“ In der „Botschaft“ heißt es nur: Joseph „wanderte nach Bethlehem“. Gekürzt wurde auch Lukas 2,21-24 die Beschneidung Jesu im Tempel in Jerusalem. In der „Botschaft“ steht nur: „Das Kind bekam den Namen Jesu“. Nach einem kurzen Abschnitt über Simeon folgt in der „Botschaft“ der Bericht über die Weisen vom Morgenland (Matthäus 2), danach wieder Lukas 2,41ff: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. So geht es weiter.
Walter Grundmann versuchte, die nichtjüdische Herkunft Jesu nachzuweisen. Er hielt Jesu Geburt in Bethlehem in Judäa für eine dogmatische Konstruktion der frühen Christen, weil nach dem Alten Testament der Messias aus dem Stamm Davids kommen soll. Jesu Geburtsstadt könnte auch Bethlehem in Galiläa gewesen sein (Josua 19,15). Dort lebten viele Völker, „Arier“ und „Nichtarier“. Dass Jesu Botschaft sich nicht nur an das jüdische Volk richtete, sondern an die hellenistische Welt, dass er sich mit dem zeitgenössischen Judentum kritisch auseinandersetzte, selbst sein Kreuzestod waren für Grundmann Indizien dafür, dass Jesus kein Jude war. Diese mühsamen Konstruktionen zeigen, dass Grundmann etwas beweisen wollte, was nicht zu beweisen war.
Die „Botschaft Gottes“ wurde aus Sicht der Mitarbeiter des Instituts ein voller Erfolg. Ende Mai 1940 waren bereits 200.000 Exemplare verkauft. Die Nachfrage soll enorm gewesen sein. Aus den eigenen Reihen kam aber auch Kritik, zum Beispiel vom DC-Bischof Franz Tügel. Die Zeitschrift „Junge Kirche“, die der Bekennenden Kirche nahestand, veröffentlichte im April 1940 eine Besprechung, in der es hieß: „Was diesem ‚Volkstestament’ fehlt, ist die Ehrfurcht. Die Ehrfurcht vor dem, was zwei Jahrtausende hindurch der Christenheit das rettende Wort ihres Gottes gewesen ist und noch heute ist.“ Auch Professor Hans von Soden aus Marburg urteilte: Die „Botschaft“ zeichne „ein ungeschichtliches Bild von Jesus“. Das Propagandaministerium verbot die Diskussion über die „Botschaft Gottes“, weil es an einer Aufwertung des Christentums kein Interesse hatte.
Man habe „aus Liebe zu Jesus“ gehandelt
Im Juli 1945 schloss der neue Thüringer Landeskirchenrat das Institut. Die Akten lagen über 40 Jahre im Keller des Landeskirchenrates und wurden erst 1990 durch Zufall entdeckt. Viele akademische und kirchliche Mitarbeiter des Instituts setzten nach 1945 auf Lehrstühlen und in Kirchenleitungen ihren Weg fort, ohne das „Entjudungsinstitut“ als Irrweg öffentlich zu bekennen. Grundmann rechtfertigte es sogar noch 1969 in seinen Erinnerungen: Man habe nur aus „Liebe zu Jesus“ gehandelt, da die antichristlichen Kräfte das Christentum abschaffen wollten. So wurde das Eisenacher Institut als „Widerstand“ stilisiert.
Seit den 50er Jahren bildete Grundmann in Eisenach und Naumburg Katecheten und Theologen aus. Für die Evangelische Verlagsanstalt in Berlin kommentierte er die Synoptiker und verfasste eine Geschichte Jesu. Das alles ohne sichtbare Zäsur und einen wirklichen Neuanfang. Aus diesem Grunde teilte Günther Baumbach, Professor für Neues Testament an der Berliner Theologischen Fakultät, den Studentinnen und Studenten bereits in den 80er Jahren mit, er werde keine Publikationen Grundmanns als Literatur empfehlen. Dessen Bücher standen lange in vielen Theologen-Bibliotheken. Erst in den 90er Jahren begann die kritische Erforschung des Eisenacher Instituts. Peter von der Osten-Sacken gab 2002 einen Studienband mit dem Titel „Das missbrauchte Evangelium“ heraus.
75. Jahrestag der Gründung des Instituts
Bis heute gibt es vor Ort keine öffentliche Erinnerung an dieses beschämende Kapitel Eisenacher Kirchengeschichte und das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ der Deutschen Christen. Das Martin-Luther-Gymnasium hat 2006 eine Schülerausstellung „Gratwanderungen“ geschaffen, die im vorigen Jahr überarbeitet und im Lutherhaus gezeigt werden konnte. Am 75. Jahrestag der Gründung des „Entjudungsinstitutes“ erinnert die Kirchengemeinde Eisenach am 6. Mai, um 19.30 Uhr in der Nikolaikirche an dieses unheilvolle Ereignis. Der Abend ist Bestandteil der Ökumenischen Bibelwoche und wird von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Eisenach (ACK) unterstützt. Als Hauptreferent hat Oliver Arnhold aus Detmold, Dozent für Religionspädagogik, zugesagt.
Zum Weiterlesen
Oliver Arnold: „Entjudung“ – Kirche im Abgrund. Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben 1939-1945, Band 2, Institut Kirche und Judentum, Berlin 2010