Wenn Kirche krank macht

Von Hans-Jürgen Volk und Gudrun Heuer

Unsere Kirche ist krank. Sie leidet unter einem neoliberalen Infekt, der den ganzen Leib bereits jetzt erheblich geschwächt hat. So erstaunt es keineswegs, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kranken Kirche zunehmend mit Burnout und anderen Krankheitsbildern zu kämpfen haben. Genaue Fallzahlen wird es nicht geben, denn mancher und manche verschweigt je nach Umfeld sein Krankheitsbild solange es geht. Als Leitbild dient ja der flexible, belastbare, kreative und immer erreichbare Mitarbeiter. Wer es nicht aushält, ist nicht geeignet. Probleme werden individualisiert - und sind doch allzu oft Symptom der allgemeinen Krankheit der Kirche, die sich ihrerseits an einer neoliberal geprägten gesellschaftlichen Umgebung angesteckt hat.

Der neoliberale Glaube besagt, dass erwünschte Veränderungen nur durch Geld zu erreichen sind. Beim Staat und bei der Kirche kann man sie am besten erzielen, indem man dem System Geld entzieht. So geschieht es seit Jahren - auch in der Ev. Kirche im Rheinland, in der Menschen berechtigte Angst um den Bestand ihrer Gemeinden, die Kirche am Ort oder das Gemeindehaus haben. Die Sorge von zahllosen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz ist mehr als begründet. Druck wurde erzeugt, der in keinem redlichen Verhältnis zur tatsächlichen finanziellen Lage steht.

Schon immer gab es bei der Kirche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die engagiert und motiviert waren. Als Küster oder Jugendleiterin, als Pfarrerin oder als Verwaltungsangestellter brachten sie sich ein - oft bis über die eigenen Grenzen hinaus. Der Glaube war eine starke Motivation und auch die Anerkennung der Umgebung. Anderswo hätte man gewiss mehr verdienen können. Doch der Arbeitsplatz war in aller Regel sicher, umgeben von christlicher Fürsorglichkeit und Wertschätzung.
Das hat sich grundlegend verändert. Die Instrumente, mit denen man den kirchlichen Strukturwandel gestalten will, sind für gute Arbeit und Engagement weitgehend blind. Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer kann Großartiges leisten - nach den Pfarrstellenverteilungsrichtlinien, die im Mai 2008 durch die Kirchleitung beschlossen wurden, sind für den Pfarrstellenumfang die Entwicklung der Gemeindegliederzahlen entscheidend. Ähnliches gilt für die Küsterin, deren Gemeindezentrum durch die neuen Regelungen zur Substanzerhaltung von der Gemeinde nicht mehr gehalten werden kann. Sie kann ebenso ihren Arbeitsplatz verlieren wie der ambitionierte Sozialpädagoge, der sich bewusst in einem sozialen Brennpunkt im nördlichen Ruhrgebiet engagiert. Ohne Not hat man sich auf ein betriebswirtschaftliches Denken eingelassen. Die Wenigsten in kirchenleitenden Positionen sind in der Lage, souverän damit umzugehen. Die Folge ist eine strukturelle Empathieunfähigkeit, die an Stelle des fürsorglichen Vorsatzes getreten ist, dem oder der Einzelnen in seiner/ihrer Situation gerecht zu werden. Die blinden Mechanismen bei der Pfarrstellenverteilung und der Zuweisung der finanziellen Ressourcen bevorzugen die ökonomisch prosperierenden Regionen unserer Kirche, wohingegen die strukturschwachen Gebiete, die an die MitarbeiterInnen oft weitaus höhere Anforderungen stellen, benachteiligt werden.

Teil der neoliberalen Glaubenslehre ist die Vorstellung, dass ein ausgeprägtes Gefälle zwischen Arm und Reich die wirtschaftliche Dynamik erhöht. Dahinter steht ein Menschenbild, das lediglich materielle Ziele als Handlungsmotivation gelten lässt. Der Mensch strengt sich an, weil er seine materielle Existenz sichern, seinen Wohlstand mehren und Karriere machen will. Abhängig Beschäftigte und erst recht Arbeitslose brauchen Druck, um zu einem ökonomisch wertvollen Lebensentwurf zu finden. Allein die Tatsache, dass sie nicht unternehmerisch tätig sind, macht sie in den Augen der neoliberalen „Freiheitsfreunde“ dem notorischen Drang zu Faulheit verdächtig, dem man nur mit einem rigiden Kontrollsystem begegnen kann.

Schon immer gab es im kirchlichen Leben Menschen, die aus ideellen Gründen in ihrer Arbeit aufgingen. Aus neoliberaler Sicht sind es unverständliche Exoten. Ihre Motivation war es, für andere in vielfältiger Weise da zu sein. Gerade diese engagierten und oft sehr einfühlsamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden sich nun in einer Umgebung wieder, die ihnen fremd ist. Statt menschlicher Wärme steht die Qualität im Mittelpunkt, statt nach lebendiger Gemeinde wird nach Kennzahlen gefragt und das Streben nach Effizienz verdrängt das solidarische Miteinander. Diese oft so wertvollen Menschen werden krank an ihrer kranken Kirche.

Es gibt einzelne Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger, die wahrnehmen, dass es sich bei der wachsenden Anzahl an Burnout-Fällen in unserer Kirche nicht um tragische Einzelschicksale handelt, sondern um ein Symptom einer allgemeinen Krankheit. Doch sie sind noch in der Minderheit. Der Mainstream vertritt die ebenso bequeme wie grausam-destruktive Ansicht, dass die Betroffenen den Herausforderungen ihres Berufs eben nicht gewachsen sind. Sie haben den von Neoliberalen so verachteten Prototyp des Gutmenschen gegen sich: Jesus von Nazareth, der sagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Matthäus 11,28)

 

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