Gemeinwesen oder Großkonzern?
Von verdeckten Leitbildern und der schleichenden Entmündigung der kirchlichen Basis
Von Hans-Jürgen Volk
Welchem Leitbild folgen die diversen Umbauprozesse evangelischer Landeskirchen eigentlich? Die Vorgabe erfolgte im Jahr 2006 durch das EKD-Impulspapier "Kirche der Freiheit". Die Titel klingt gut - fast reformatorisch. Allerdings gehört der Begriff "Freiheit" zu den wohl am stärksten zerdehnten und missbrauchten Vokabeln. Vor 1945 sprachen braune Ideologen vom "Freiheitskampf des deutschen Volkes". Im Vietnamkrieg der 60-er Jahre ging es angeblich um die "Verteidigung der Freiheit". Ein Ronald Reagan profilierte die angeblich "freie Welt", zu der natürlich auch das wirtschaftsliberale Chile unter einem Diktator Pinochet subsumiert wurde, gegenüber dem "Reich des Bösen" im kommunistischen Osten. Im Namen der Freiheit wurden verstärkt ab den 90-er Jahren in immer stärkeren Umfang destruktive Marktmechanismen freigesetzt, die die sozialen Gegensätze global auf unerträgliche Weise verstärkten und für die Vermögenden Freiräume schufen, noch mehr Vermögen anzuhäufen. Der für den "rheinischen Kapitalismus" typischen Ordnungsrahmen einer sozialen Marktwirtschaft wurde demontiert. Die "Liberalisierung" und Deregulierung der Finanzmärkte verlieh längst überholt geglaubten marxistischen Analysen bittere Aktualität. Schon längst haben sich diese "Märkte" von der sogenannten Realwirtschaft gelöst und sich diese ebenso wie nationalstaatliche Organe untertan gemacht. Durch Privatisierungsprozesse bei der Energiewirtschaft, der Post oder der Bahn wurde der Sektor eines der demokratischen Kontrolle unterliegenden Gemeinwesens immer mehr reduziert. Ausgerechnet unter einer von SPD und Grünen getragenen Bundesregierung erreichten die Auswirkungen des durch und durch unsozialen neoliberalen "Freiheitsdiskurses" ihren Höhepunkt: eine Steuerreform entlastete vor allem die Vermögenden, die Arbeitsmärkte wurden "dereguliert" zu Lasten der abhängig Beschäftigten, die umlagefinanzierten Sozialsysteme geschwächt und durch kapitalgedeckte Elemente ergänzt, was wiederum der Versicherungswirtschaft und der Finanzindustrie Auftrieb verlieh. Diese Skizze soll verdeutlichen, in welchem gesellschaftlichen Kontext die kirchlichen Umbaukonzepte entwickelt wurden. In zentralen Elementen folgen sie einer neoliberalen Agenda. Was völlig fehlt, ist die Anknüpfung an das große biblische Freiheitsepos, das den Auszug der Kinder Israels aus der Knechtschaft in Ägypten beschreibt. Auch einen handlungsleitenden Bezug auf den paulinischen Freiheitsbegriff (Vgl. z.B. Gal. 4-5) sucht man vergeblich. Was offenbar sehr zielgerichtet angestrebt wird, ist die Transformation eines immer noch bemerkenswert vielfältigen protestantischen Gemeinwesens in einen religiösen Dienstleistungskonzern.
Eine angebliche "Finanzkrise" als kirchenpolitischer Hebel
Wie gelang es nun, Konzepte durchzusetzen, die bis zum Ende der 90-er Jahre bestenfalls ein Nischendasein führten und damals niemals mehrheitsfähig gewesen wären? Tatsächlich gab es bei den Kirchensteuereinnahmen auf Grund einer hohen Arbeitslosigkeit und einer schwachen konjunkturellen Entwicklung ab der 2. Hälfte der 90-er Jahre eine Abwärtsbewegung, die sich vor allem durch die Umsetzung einer Steuerreform der damaligen rot-grünen Bundesregierung bis 2005 verschärfte. Zahllose Oberkirchenräte und Superintendenten verkündeten landauf, landab, dass die Zeiten steigernder Kirchensteuereinnahmen endgültig vorüber seien und man sich auf eine dauerhaft sinkende Finanzkraft einstellen müsse. Als Ursache für diese "Finanzkrise" wurden nicht etwa die Steuerpolitik oder die wirtschaftliche Entwicklung in den Vordergrund gerückt, sondern die sinkenden Mitgliederzahlen sowie der demographische Wandel. Hieraus wurde ein Szenario hochgerechnet, nachdem die Evangelische Kirche im Jahr 2030 nur noch zwei Drittel des Mitgliederbestandes von 2002 haben wird - was vermutlich grob zutreffen wird - und nur noch über die Hälfte ihrer damaligen Finanzkraft verfügen soll, was grober Unfug ist. Hiermit war der Hebel gefunden, Synoden zu Entscheidungen zu drängen, die überwiegend auf eine Zentralisierung der Steuerung von Prozessen im Bereich von Finanzen, Verwaltung und Organisation, sowie Personalplanung hinausliefen. Landeskirchen wie die evangelische Kirche im Rheinland mit einer ausgeprägt presbyterial-synodalen Kirchenverfassung wurden durch diese Entwicklung im Kern beschädigt und im Blick auf ihre Identität deformiert. Verfassungsmäßig schwach ausgestattete Organe wie die Superintendentenkonferenz (z.B. in der EKiR) oder die Kirchenkonferenz der EKD erhielten immer mehr Gewicht. Einst offene und spannende synodale Debatten gerieten vor allem dort, wo es im Finanzen und Verwaltung geht, immer mehr zu Inszenierungen. Ein kleines Netzwerk von Verantwortungsträgern der oberen Leitungsebenen steuert das synodale Geschehen.
Diese Art fragwürdigen kirchenpolitischen Agierens hat Folgen
- Verlust an Glaubwürdigkeit: Es gibt keine Finanzkrise. Es gibt allerdings einen höchst problematischen Umgang mit Geld, durch den der Arbeit mit den Menschen vor Ort immer mehr Mittel entzogen werden. Tatsache ist, dass die Kirchensteuereinnahmen seit 2005 deutlich gestiegen sind und dass 2013 ein EKD-weites Allzeithoch bei den Kirchensteuereinnahmen erzielt werden konnte.
- Vor allem anderen geht es ums Geld: Ein unseriöser Finanzalarmismus war der Ausgangspunkt der Umbauprozesse eines vielfältigen kirchlichen Gemeinwesens hin zu einem Dienstleistungskonzern. Das neue kirchliche Finanzwesen (NKF) soll die Gewähr dafür bieten, dass die Orientierung kirchlicher Arbeit an Finanzgrößen bis hin zur kleinsten Landgemeinde durchgesetzt wird.
- Stärkung der Verwaltung: Gespart wurde - beim Pfarrdienst seit Jahren schon. Küsterstellen wurden reduziert, Jugendleiter- und Kirchenmusikerstellen gestrichen. Gegen den Trend wächst der Personalbedarf für die kirchlichen Verwaltungen. In der rheinischen Kirche wird dies vor allem verursacht durch das NKF und eine Verwaltungsstrukturreform. Rechnet man diese Entwicklung bis 2030 hoch, dürfte es dann in den meisten Kirchenkreisen der EKiR deutlich mehr Vollzeitstellen in der Verwaltung als im Pfarrdienst geben - ein geradezu perverse Fehlentwicklung. Eine mögliche Erklärung: Verwaltung ist ein Machtinstrument, zumal in einer Kirche, die immer zentralistischer agiert.
Verdeckte Operation "erweiterter Solidarpakt"
Googeln Sie mal das Stichwort "erweiterter Solidarpakt". Sie werden dazu kaum was finden, obwohl es sich um eine Intervention der Kirchenkonferenz der EKD vom März 2006 handelt, die massiv in die Finanzplanung, die Haushaltsgestaltung und die Personalplanung der Landeskirchen eingreift. Vor nur wenigen Landessynoden wurde der Begriff öffentlich erwähnt - zumeist den tatsächlichen Sachverhalt verharmlosend im Zusammenhang mit einem Berichtswesen in Richtung EKD.
Wesentlich informativer sind zwei Rundfunksendungen: ein knapper aber informativer Beitrag auf WDR 5 im Rahmen der Sendung "Diesseits von Eden" vom 27.07. 2014 unter der Überschrift: "Ein Pakt, den keiner kennt - die EKD regiert in die Finanzplanung der Landeskirchen"; dann ein aufschlussreiches Feature in RBB Kulturradio vom 03.08. 2014 mit dem Titel: "Für Pfarrers Rente spekulieren - Kirche an der Börse". (Das Script der Sendung ist auch hier zugänglich). Autor beider Sendungen ist der Journalist Christoph Fleischmann, auf dessen Homepage sich weitere lesenswerte Beiträge auch zu diesem Thema befinden.
Die Vereinbarung der Kirchenkonferenz von 2006 bedarf gewiss noch einer eingehenden Analyse. Lesen Sie sich den Text mal durch und bewerten selbst, was dieser Vorgang für die Kultur von synodalen Prozessen und Entscheidungsfindungen im Blick auf die EKD bedeutet. Wenn Sie Rheinländer sind, werden Sie besser verstehen, was der tatsächliche Hintergrund des verschärften Sparkurses der EKiR ist.
Die Finanzorientierung der evangelischen Kirche wird durch den "erweiterten Solidarpakt" auf die Spitze getrieben. "Wir können eigentlich derzeit nur dafür sorgen, dass wir alle Überschüsse in den Haushalten und überplanmäßigen Einnahmen […] alles in unsere Versorgungseinrichtungen hineinschieben." - so der O-Ton von Vizepräsident und EKD-Ratsmitglied Klaus Winterhoff in der RBB-Sendung. Wer so redet, propagiert eine Shareholder-Value-Orientierung die wir von Konzernen kennen, die trotz befriedigender Ertragslage Beschäftigte entlassen. Der EKD-Finanzchef Thomas Begrich räumt in der gleichen Sendung ein, dass das Vermögen, dass die einzelnen Landeskirchen für zukünftige Versorgungsansprüche angesammelt haben, bereits jetzt einen Umfang von 10 - 15 Milliarden Euro hat.
Die Kirchenkonferenz der EKD ist ein recht überschaubares Gremium, dessen Mitglieder bequem im mittelgroßen Konferenzraum eines Hilton-Hotels Platz finden dürften. Wir haben uns immer wieder erkundigt, ob Mitgliedern von Landessynoden oder sogar langjährigen Mitgliedern von Kirchenleitungen der Begriff "erweiterter Solidarpakt" etwas sagt. Man wird davon ausgehen können, dass den Landesbischöfen, dem Präses der EKiR oder den Kirchenpräsidenten, den Leitern der landeskirchlichen Verwaltungen sowie den Finanzdezernenten, die Beschlüsse aus 2006 im Detail bekannt sind. Wahrscheinlich gehören zu diesem erlauchten Kreis der Wissenden noch ein paar Oberkirchenräte. Es spricht vieles dafür, dass z.B. die Kirchenleitung der EKiR die Bestimmungen des "erweiterten Solidarpakts" nie umfassend zur Kenntnis genommen hat. Auf der Ebene der Landessynoden war er kein offen diskutiertes Thema. Wenn ein kleiner Kreis klerikaler Oligarchen hinter verschlossenen Türen Verabredungen trifft, wie die in den vergangenen Jahren wieder reichlich fließenden Finanzströme der evangelischen Landeskirchen zu lenken sind und die Synoden dieser Landeskirchen keine Möglichkeit haben, hierzu Stellung zu nehmen, drückt sich darin eine unfassbare Missachtung gegenüber Synoden und synodalen Prozessen aus. Die Filialisierung der Kirchengemeinden ist schlimm genug. Es spricht vieles dafür, dass die einst eigenständigen Landeskirchen in den vergangenen Jahren zu Tochterunternehmen des EKD-Konzerns mutiert sind.
Kirche als Gemeinwesen
Wenn eine Kirche so orientiert und quasi in Besitz genommen wird von einigen Wenigen, deren größte Sehnsucht es offenbar ist, von den Vermögenden und Mächtigen des Landes als Ihresgleichen angesehen zu werden (, wie es z.B. jenes unsägliche EKD-Elitepapier dokumentiert,) bewegt sie sich in Lichtgeschwindigkeit weg von ihren reformatorischen Wurzeln. Wer immer noch Zweifel daran hat, dass die von der EKD ausgehenden Umbauprozesse dem Konzernleitbild folgen, sollte einmal eine Blick auf die Kursangebote der EKD-Führungsakademie für Kirche und Diakonie werfen. Offenbar ist man hier der Ansicht, dass zum Führen und Leiten theologische Kompetenzen am allerwenigsten gehören. Der Fortbildungsschwerpunkt liegt eindeutig bei Betriebswirtschaft und Management. Makroökonomische, sozialethische oder humanwissenschaftliche Inhalte führen ebenso wie die Theologie ein Schattendasein oder kommen erst gar nicht vor.
Das verdeckt vollzogene Konzernleitbild kann sich im äußersten Fall auf ungute protestantische Traditionslinien berufen, eine fundierte theologische Begründung wird nicht geliefert und ist wohl auch kaum möglich. Durch die summepiskopale Ordnung der evangelischen Landeskirchen, also das landesherrliche Kirchenregiment deutscher Fürsten und die damit verbundene Verbindung von Thron und Altar war der Protestantismus schon immer anfällig dafür, gestützt von den damaligen "Verantwortungseliten" von Barone, Grafen und Königen gesellschaftlichen Einfluss gewinnen zu wollen. An die Stelle des christlichen Adels treten heute sog. "Verantwortungseliten", also die Einflussreichen und Mächtigen, die u.a. an den Schalthebeln großer Konzerne sitzen.
In seiner Nachkriegsschrift "Christengemeinde und Bürgergemeinde" von 1946 entwickelt Karl Barth auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Kirchenkampfes ein theologisch fundiertes anderes Leitbild von Kirche - Kirche als Gemeinwesen. Unter Punkt 33 der Schrift formuliert er: "Vielleicht der entscheidende Beitrag der Christengemeinde im Aufbau der Bürgergemeinde besteht darin, daß sie ihre eigene Existenz, ihre Verfassung und Ordnung theoretisch und praktisch dem gemäß gestaltet, daß sie, die direkt und bewußt um jenes gemeinsame Zentrum versammelt ist, den inneren Kreis innerhalb des äußeren darzustellen hat. Der rechte Staat muß in der rechten Kirche sein Urbild und Vorbild haben. Die Kirche existiere also exemplarisch, d.h. so, daß sie durch ihr einfaches Dasein und Sosein auch die Quelle der Erneuerung und die Kraft der Erhaltung des Staates ist." Unter dem Zentrum versteht Barth die "Botschaft vom König und seinem Reich". Nahezu prophetisch stellt er die Frage: "Wie soll die Welt die Botschaft ... glauben, wenn die Kirche ... durch ihr Tun und Verhalten zu erkennen gibt, daß sie selbst gar nicht daran denkt, sich in ihrer eigenen inneren Politik an dieser Botschaft zu orientieren."
Der Kollege Wolfgang Vögele beklagt in seinem Beitrag: "Das Abendmahl der Aktenordner - Beobachtungen zum Verhältnis von Theologie und Kirchenleitung" mit Recht die Marginalisierung der Theologie und damit auch jenes Zentrums, von dem Barth spricht: "Das Erfolgsmodell evangelischer Debattenkultur, wie sie von den evangelischen Akademien und dem Kirchentag als intermediären Institutionen jahrzehntelang erfolgreich praktiziert wurde, hat sich aufgelöst in eine klerikale Verlautbarungs- und Marketingkultur. Werbung tritt an die Stelle des Austauschs von Argumenten. Anpreisen und Überreden tritt an die Stelle von Abwägen und Begründen. Aber eine kirchliche Theologie, die nicht mehr durch Debatte, sondern durch Öffentlichkeitsarbeit bestimmt wird, unterscheidet sich nicht groß von den Marketingabteilungen der Parteien, der großen Stiftungen oder von Unternehmen."
Auf des Messers Schneide
Ausgangspunkt war die These, dass das Programm der Transformation der evangelischen Landeskirchen in einen nationalkirchlichen, von der EKD dominierten Dienstleistungskonzern ohne den neoliberalen Freiheitsdiskurs nicht denkbar wäre. Noch ist dieser Umbau nicht vollständig vollzogen. War die evangelische Kirche bis in die 90-er Jahre hinein noch in mancher Hinsicht ein Gemeinwesen, so gleicht sie immer mehr einem Konzern, indem wichtige strategische Entscheidungen eben nicht mehr debattiert, sondern dekretiert werden. Eine grundlegende Neuorientierung in fiskalischer Hinsicht, wie sie mit dem "erweiterten Solidarpakt" vollzogen wurde, kam erst gar nicht an die kirchliche Öffentlichkeit. Dort, wo es um Finanzen und die Frage der äußeren Gestalt der Kirche ging, wurden Synoden immer mehr zu Inszenierungen nach den Vorgaben weniger Strippenzieher.
Zudem: Zentrale Projekte wie das NKF oder die diversen Verwaltungsstrukturreformen dulden von ihrem Ansatz her kein Ausweichen. Dies prägt zunehmend die Atmosphäre im Konzern Kirche, vor allem bei den Beschäftigten.
"Denk daran, wer dein Dienstherr ist!" "In der freien Wirtschaft könnten Sie sich ein derartiges Auftreten nicht leisten!" - Dies sind Beispiele für eher milde Einschüchterungsversuche durch Verantwortungsträger der mittleren und landeskirchlichen Leitungsebene gegenüber Mitarbeitenden in unserer Kirche. Wesentlich gröber ist da schon die öffentliche Drohung mit Zwangsmaßnahmen einer Landeskirchenrätin gegenüber engagierten Presbyterien. Erst seit wenigen Wochen ist unsere Initiative "KirchenBunt" öffentlich. Andreas Reinhold hat die zahlreichen Reaktion, die uns seitdem erreicht haben, in einem bedrückenden Resümee bewertet. Vor einigen Tagen erhielt ich eine Mail mit folgenden Sätzen: "Ich teile die Anliegen von "Kirchenbunt" voll und ganz und bin auch gerne bereit, Euch im Rahmen meiner Möglichkeiten zu unterstützen. Allerdings sind die sehr begrenzt. Bei uns stehen Umstrukturierungsprozesse an, die auch meine Pfarrstelle betrifft. Daher bin ich auf das Wohlwollen meines Superintendenten angewiesen."
In gewisser Hinsicht täte es unserer Kirche gut, wenn sie ihren Beschäftigten mehr "unternehmerische" Freiheit einräumen und Einsatz und Kreativität gerade auch dort loben würde, wo dies gegen den Mainstream geschieht, die Ergebnisse jedoch positiv für die Menschen sind. Das Gegenteil ist der Fall. Die Beschäftigten einschließlich der Pfarrerschaft sollen den Konzernvorgaben folgen, so schädlich dies auch für die Situation vor Ort und so theologisch zweifelhaft die Anordnungen von oben auch sein mögen.
Noch verhängnisvoller ist jedoch der grundlegende Irrtum, evangelische Christen mit ihrer relativ geringen Bindung an eine Institution ließen sich zufriedenstellen mit einer von Konformismus geprägten ökonomisierten Organisation, die aktuell ihren wichtigsten Auftrag offenbar darin sieht, möglichst viel Kapital zur Absicherung zukünftiger Versorgungsansprüche anzusammeln. Wenn die Mitgliedschaftsstudien der EKD eins zeigen, dann ist es die Vielfalt der Erwartungen der evangelischen Christen an ihre Kirche, der man gerade in einer von Säkularsierung und einer immer größeren Vielfalt an unterschiedlichen Lebensentwürfen geprägten Gesellschaft nur mit struktureller Vielfalt, mutigen Experimenten vor Ort und einer konsequenten Orientierung an den Menschen begegnen kann.
Vor allem geht es darum, als Kirche wieder von jenem von Barth bezeichneten Zentrum her zu denken und zu handeln, sodass die Botschaft erkennbar auch in kirchlichen Strukturen und Haushalten Gestalt gewinnt. Hier muss wohl das Recht auf geistlichen Ungehorsam zumindest dort in Anspruch genommen werden, wo das eigene Gewissen Widersprüche zwischen Synodenbeschlüssen und Rechtsetzungen gegenüber Bibel und Bekenntnis, insbesondere der Barmer Theologischen Erklärung wahrnimmt.
Gelingt es nicht, in den kommenden Jahren die Finanzorientierung, die Ökonomisierung und die konzernmäßige Zentralisierung zurückzudrängen, wird vermutlich die große Theologe Jürgen Moltmann, auf den die inneren EKD-Zirkel schon lange nicht mehr hören, recht behalten. Vor einiger Zeit stellte er in einem Interview fest: "Provokant gesagt: Die Zukunft der Kirche ist freikirchlich. Nicht mehr in meiner und der nächsten Generation, aber so wie die Entwicklung läuft, sehe ich, dass die Zukunft der Kirche eine freiere und freiwilligere sein wird."