Jetzt auch noch dies:
Qualitätsmanagement in der EKD
Von Ingo Baldermann
Unter der hoffnungsvoll klingenden Überschrift „Qualität und Profil“ findet sich in der Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit (Praxis Gemeindepädagogik, verantwortet von der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig - mit dem Anspruch, das gesamte Feld gemeindlicher Arbeit unter pädagogischem Aspekt zu erfassen) im Heft 2/2015 ein vehementes Plädoyer für ein konsequentes Qualitätsmanagement kirchlicher Arbeit – durchweg von AutorInnen, die in kirchlichen Schlüsselpositionen arbeiten.
Wir erfahren dort u. a., dass die EKD im Michaeliskloster in Hildesheim ein „Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst“ eingerichtet hat. So wird das Ziel der Straffung kirchlicher Arbeit nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bis in den innersten Bereich vorangetrieben. Es geht um den Kern: um eine betriebswirtschaftlich kontrollierte Evaluation der Effizienz von Gottesdienst und Seelsorge, Predigt und Unterricht, und alles unter der Verheißung, dadurch das Profil zu schärfen und der kirchlichen Arbeit neue Attraktivität zu verleihen. Ob die Vertreter dieser Strategie nicht merken, wie sie mit den Kategorien des Marketing das Wesen der Kirche verändern? Sie gewinnt tatsächlich ein neues Profil: das eines Konzerns, der seine religiösen Wahrheiten möglichst gewinnbringend zu vermarkten sucht. Ich versuche einige der Konsequenzen beim Namen zu nennen:
1. Als Gemeindeglied werde ich Gottesdienste konsequent meiden, in denen ich auf solche Qualitäten hin gemanagt werde. Ich will dort nicht nach meinen unterschwellig verborgenen Bedürfnissen eingeordnet und zielstrebig zu deren möglichst perfekter Befriedigung hingelenkt werden. In der Gemeinde suche ich das gemeinsame selbstkritische Hören auf das Wort der Bibel und das gemeinsame, aus immer neuem Hören erwachsende Gebet.
2. Qualitätsmanagement für unsere gottesdienstlichen Gebete kann ja nur heißen, sie nach ihrer Effizienz zu befragen. Dabei wird aus den Nachrichten jedes Tages schon auf den ersten Blick die totale Ineffizienz aller Friedensgebete deutlich; sie sind also nach den Kriterien des Qualitätsmanagements ab sofort zu unterlassen. Konsequent sollten wir aber überhaupt auch alle bisherigen Formen der Fürbitte, etwa für Flüchtlinge oder Verfolgte oder Kranke und Sterbende, aus Gründen offensichtlich mangelnder Effizienz streichen.
3. Natürlich wird das Qualitätsmanagement auch die Seelsorge ins Auge fassen. Man sollte all denen, die als PfarrerInnen auch noch Seelsorge praktizieren, künftig empfehlen, gerade bei Trauerbesuchen oder in der Sterbebegleitung nach Formen der Evaluation zu suchen, weil andernfalls solche Tätigkeiten wegen erkennbarer Ineffizienz aus dem pfarramtlichen Dienst ausgegliedert werden. Als erster Schritt einer Evaluation wäre zu ermitteln, ob der oder die Sterbende ungetröstet, ein wenig getröstet, erkennbar getröstet oder vollendet getrost aus diesem Gespräch hervorgeht. Um der Evaluation aber eine gesicherte empirische Basis zu geben, wäre ein Herzfrequenz- und Blutdruckmessgerät anzuraten, das die Daten vor und nach dem Gespräch verlässlich und auch für die Kirchenleitung kontrollierbar speichert.
4. Erstaunlich ist die Unbefangenheit, mit der uns hier zugemutet wird, die Regeln für eine Reform der Kirche unbesehen aus den Kriterien einer marktorientierten Betriebswirtschaft zu gewinnen. Dass Qualitätsmanagement zur Schärfung des Profils und damit der Attraktivität führt, eine Grundregel des Marketing, wird dementsprechend auch in Reformkonzepte für das Theologiestudium wie für das Lehramt übernommen; schon längst wird dort den praktischen Disziplinen eben die Funktion des Marketing zugewiesen: die als relevant angesehenen Sachverhalte und Überzeugungen möglichst suggestiv den Kunden anzubieten. Die Wahrheitsfrage aber, die sich uns in der Praxis der Seelsorge wie auch der Predigt und des Unterrichts anders stellt, so radikal wie nirgendwo sonst, wird damit leichthin ausmanövriert.
5. Auf dem Weg des Qualitätsmanagements soll die Effizienz gesteigert werden; in der geläufigen betriebswirtschaftlichen Praxis geschieht das immer auch durch Reduktion des Personals, d. h. durch Massenentlassungen. Der Anfang ist im kirchlichen Raum deutlich erkennbar: in der konsequenten Reduktion der Pfarrstellen, allein nach Zahlenwerten, ohne Rücksicht darauf, ob und wie Gemeinden dadurch zerstört werden. Alle gemeindlichen Dienste, auch das Pfarramt, geraten unter das Gesetz dieses Tun-Ergehen-Zusammenhanges: Wo Gemeindearbeit nicht quantitativ aufblüht, liegt es an der mangelnden Qualität der Dienstleistungen. Zu Massenkündigungen aber kommt es schon jetzt auf der Ebene der Ehrenamtlichen, die zwar verbal überall hochgepriesen, jedoch durch finanziell begründete Strukturanpassungen (sprich: Fusionen) im Herzen ihres Engagements tief getroffen nun ihre Mitarbeit einstellen. Eine noch weitergehende Abwanderung auch von Gemeindegliedern wird unausweichlich folgen. In unserer Gemeindeversammlung sagte ein engagierter Ehrenamtlicher: „Die (gemeint sind: die kirchlichen Verwaltungen) benehmen sich wie Konkursverwalter: Sie sind nur noch darauf aus, uns alle geordnet abzuwickeln.“
6. Bisher war die Kirche in der modernen wie schon in der spätantiken Gesellschaft gerade dadurch attraktiv, dass hier exemplarisch ein anderes Zusammenleben praktiziert wurde als in den autoritären Strukturen der Massengesellschaft, die damals wie heute ohne Sklavenarbeit nicht funktioniert. Diese Attraktivität, die unsre Gemeinden noch immer trägt, wird von Grund auf zerstört, wenn die Kirche nun nach den Kriterien einer ideologisch radikalisierten Betriebswirtschaft umstrukturiert wird. In diesen Strukturen werden wir alle heimatlos.
7. Durch die NKF (Neue kirchliche Finanzordnung) wird die genaue Erfassung und Erhaltung aller Sachwerte zum entscheidenden Maßstab, und die Erfahrung zeigt, wie blühende Gemeinden dadurch unversehens bettelarm gerechnet werden können und nicht mehr die notwendigsten Mittel für ihre profilierte Gemeindearbeit behalten. Dagegen explodieren die Kosten der Verwaltung durch das Anwerben „hochqualifizierter Fachkräfte“. Wir vergessen nicht, wie durch die beflissene Anpassung an die Praktiken moderner Geldwirtschaft schon Kirchensteuergelder in Millionenhöhe durch Fehlspekulation sinnlos verbrannt worden sind.
Fazit: Auf der Suche nach dem Sinn derart sinnlos und zerstörerisch wirkender Ordnungen gewinnt man am ehesten Klarheit durch die Frage: Cui bono – wem nützt das? Hier ist die Antwort erschreckend einfach: Die von oben her (wie gegenwärtig auch in den Schulen) angeordnete Qualitätskontrolle erzeugt von selbst hierarchisch strenge autoritäre Strukturen. Die neue „Ordnung“ wird von oben nach unten durchgesetzt und kontrolliert, und so wird die Verwaltung, bisher von den Gemeinden dankbar als Hilfe akzeptiert, zu einer Kontrollinstanz, die künftig auf keine Kritik der Basis mehr hören, geschweige denn antworten muss.
Wir müssen begreifen: Aufgekündigt wird damit von oben her nicht nur die Struktur der Kirche als Lerngemeinschaft, sondern auch ihre presbyteriale und d. h. demokratische Verfassung; aufgekündigt wird de facto das Recht der Gemeinden, über Prioritäten ihrer Arbeit selbst zu entscheiden. Aufgekündigt aber wird darin vor allem die bisher unbestrittene Basis, dass nur im intensiven Hören auf das Wort der Schrift Impulse und Regeln einer Erneuerung unserer Kirche zu gewinnen sind. Es geht nicht mehr darum, den Anfängen zu wehren; das haben schon viele versucht, auch vielstimmig genug, etwa in der Wormser Erklärung und dem Erfurter Wort. Es geht darum, jetzt zu verhindern, dass unsere Gemeinden faktisch entmündigt werden und unsere Kirche damit preisgibt, was von Anfang an ihr ureigenstes Profil war.