Rückzug von der Bühne

Kommentar zum vorzeitigen Ausscheiden von Nikolaus Schneider als Ratsvorsitzender der EKD
Von Hans-Jürgen Volk

Nikolaus Schneider möchte sich zurückziehen von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD. Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar und haben Respekt verdient: Ausschlaggebend ist die plötzlich diagnostizierte Krebserkrankung seiner Frau. Joachim Frank hat in seinem einfühlsamen Beitrag "Rücktritt eines Brückenbauers" Worte gefunden, die der Person gerecht werden. Seine Kommentierung ist jedoch ergänzungsbedürftig, weil die Bilanz, die Schneider als prominente Persönlichkeit der EKD hinterlässt, keineswegs uneingeschränkt positiv ist. Dies ist normal und menschlich. Um unserer Kirche willen sollten die problematischen Aspekte von Schneiders Amtsführung nicht unerwähnt bleiben.

Die Diskrepanz zwischen Wort und kirchenleitendem Handeln

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Schneiders Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und sein stetes Eintreten für sozial Schwache authentisch ist. Es gelang ihm jedoch nie, hieraus ein Programm für seine Kirche zu formulieren. Im Gegenteil: da Schneider die diversen Spar- und Umbauprozesse in der rheinischen Kirche und auf der Ebene der EKD mit trug, hat er auch Mitverantwortung für die faktische Reduzierung innerkirchlicher Sozialstandards und für den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. Die Demontage des Pfarrdienstes fällt ebenso in die Zeit des Wirkens von Schneider wie der oft ohne große öffentliche Aufmerksamkeit vollzogene Verlust von Stellenanteilen oder Arbeitsplätzen bei anderen Berufsgruppen der Kirche.

Schneider kritisierte die Gier der Banken oder die Shareholder-Value-Orientierung großer Konzerne, setzte aber der wachsenden Ausrichtung kirchenleitenden Handelns an Finanzgrößen keinen Widerstand entgegen, sondern trug dieses vielmehr mit.

Als Prediger hat Schneider eine beachtliche Ausstrahlung. So hielt er z.B. im August 2010 in Altenkirchen, einer Kleinstadt im nördlichen Westerwald, eine Predigt zu 1. Joh. 4,7-12, die die Menschen bewegte und viel Zuspruch fand. Hier ein Auszug:

"Die Liebe Gottes, die uns in der Geschichte Jesu Christi offenbar wurde,
diese Liebe fragt nicht nach Konfession oder Hautfarbe,
nicht nach Weltanschauung oder Parteibuch, nicht nach Bankkonto oder gesellschaftlicher Position.
Der Himmel geht über allen auf!
In der Gewissheit, von Gott ohne Vorbedingung und ohne Vorleistungen geliebt zu sein, werden auch wir frei für ein Grenzen-überschreitendes Lieben.
Wir müssen nicht mehr fragen und nicht mehr berechnen „was bringt es mir?“.
Wir müssen nicht mehr überheblich oder unsicher auf vermeintlich angemessene Reaktionen auf unsere Zuwendung warten.
Als geliebte Gottes sind wir frei, unsere Liebe unbegrenzt zu verschenken;
mögen Skeptiker doch ruhig von „verschwenden“ oder gar von „vergeuden“ sprechen.
Von der großen Liebesgeschichte  Gottes in Jesus Christus haben wir es gelernt:
Gott ist Liebe, die nicht sortiert, die nicht misst und nicht rechnet.
Gott ist Liebe, die allen Menschen gilt.
Der Himmel geht über allen auf!"

Im Jahr 2010 gab es in der Ev. Kirche im Rheinland eine heftige Diskussion über die Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzwesens (NKF). Die Altenkirchener Predigt war implizit eine Stellungnahme gegen dieses Projekt - nämlich dann, wenn man ihre Sätze auch auf das Handeln der Kirche bezieht. Noch heute findet sich auf der NKF-Homepage der EKiR folgender Text: "Ziele: - Wirkungen, die in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen und die qualitativ sowie quantitativ beschrieben und überprüft werden können. Ziele sind SMART (spezifisch und schriftlich fixiert, messbar, attraktiv, realisierbar und terminiert) zu formulieren. Die Zielerreichung muss durch Kennzahlen messbar gemacht werden." Der Gedanke, dass NKF als Basis kirchenleitenden Handelns die Marginalisierung von Glaube, Hoffnung und Liebe bedeutet, da sich diese nachweislich jeglicher Messbarkeit entziehen, war Schneider offenbar fremd. Denn er setzte sich nachdrücklich für die NKF-Einführung ein. Es war wie so oft, wenn man die eindrucksvollen theologischen Passagen seiner zahlreichen Berichte als rheinischer Präses mit bedenkt: Auf der Grundlage einer fundierten, an Barmen orientierten reformatorischen Theologie gab Schneider eine Richtung vor, marschierte dann aber an der Spitze des Geleitzugs seiner Kirche in entgegengesetzte Regionen.

Die Frage, was dies für die Verkündigung der Kirche bedeutet, mag sich jeder selbst beantworten. Schneider ist da beileibe kein Einzelfall. Er stellt insofern eine Besonderheit da, als er in seiner Predigt überzeugend wirkt, weil er selber authentisch bleibt. Ihm den Vorwurf zu machen, er hätte Theologie instrumentalisiert, um kirchenpolitische Ziele zu erreichen, wäre ungerecht. Wenn eine exponierte Person unserer Kirche allerdings in ihrer Theologie und in ihrer Verkündigung Aussagen entwickelt, die in Widerspruch zu den Umbauprozessen innerhalb der Kirche stehen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen, trägt sie mit dazu bei, dass Theologie hier ihre handlungsleitende Funktion verliert.

Stärken und Schwächen

Schneider würde dem vermutlich auch heute noch recht autokratisch entgegenhalten, dass dies ja alles nicht so sei. "Brückenbauer" war er auf der Ebene kirchenleitender Gremien. Hier wirkte er mit einer eindrucksvollen Präsenz und hinhörendem Verständnis auch für kritische Positionen. Auf Kritik von außen reagierte er jedoch mit der benannten Abwehr. Dies galt vor allem dann, wenn Leitungsgremien Entscheidungen getroffen hatten. Spricht man in der Politik von "Parteisoldaten", so war Schneider eine Art "Kirchensoldat", der sich in die Pflicht nehmen ließ wie nach dem Rücktritt von Margot Käßmann oder der die einmal beschlossene Linie konsequent verteidigte mit der merkwürdigen Neigung, einer Art "Kanonisierung" von Synodenbeschlüssen Vorschub zu leisten. Auch aus diesem Grund stellte er die Grundentscheidungen des Impulspapiers "Kirche der Freiheit" nicht in Frage, sondern trug diese vielmehr offensiv mit, so sehr diese auch in Spannung zu seiner eigenen Theologie standen.

Die größte Schwäche Schneiders dokumentiert aus meiner Sicht der SWR-Filmbeitrag "Der Nikolaus ist evangelisch". Schneider muss diesem peinlichen Medienprodukt, dass manche bis heute für gelungen halten, ja seine Zustimmung gegeben haben.

Von außen kaum nachvollziehbar ist die scharfe Abwendung von Georg Immel, der als rheinische Finanzdezernent ein langjähriger Weggefährte von Schneider war. Immel wurde damals die Hauptverantwortung für den bbz-Finanzskandal zugewiesen - ein sachlich falsches und ungerechtes Urteil.

Auf der anderen Seite gibt es gerade in der rheinischen Kirche zahlreiche Menschen, die Schneider dankbar sind. Wer sich hilfe- und ratsuchend an ihn wandte, war bei ihm in der Regel ausgesprochen gut aufgehoben. Wenn Schneider durch derartige Kontakte auf Unrecht oder Bedrängnis aufmerksam wurde, konnte er mit teils unkonventionellen Methoden bemerkenswert wirksam Beistand leisten.

Vielleicht am Bedeutsamsten ist der Tatbestand, dass bei Schneider Verkündigung und persönliche Haltung absolut stimmig sind. Als Einzelperson verkörpert Schneider überzeugend, was er sagt und predigt. So ist er bis heute ein wertvoller Zeuge des christlichen Glaubens, der anderen durch sein persönliches Beispiel Kraft und Trost geben kann. Dies gilt umso mehr angesichts der persönlichen Schicksalsschläge, die Schneider verkraften musste, wie den frühen Tod seiner jüngsten Tochter oder jetzt die Krebserkrankung seiner Frau. Im Hinblick darauf ist der Rückzug von Schneider ein großer Verlust für die Evangelische Kirche in Deutschland.

 

 

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