Am Ende eines Weges

Persönliche und theologische Anmerkungen zum Ausscheiden von Georg Immel als Mitglied der Kirchenleitung
Von Hans-Jürgen Volk

Am Schluss der Landessynode der Ev. Kirche im Rheinland vom 6.-13. Januar 2013 sprach der designierte Präses Manfred Rekowski die ausscheidenden hauptamtlichen Mitglieder der Kirchenleitung Präses Schneider, Vizepräsident Drägert und Oberkirchenrat Georg Immel an. Zu Immel meinte er: „…die Situation, in der wir uns miteinander befinden, ist unabgeschlossen, weil manches noch nicht geklärt ist. Deshalb ist ein Abschluss nicht möglich, sondern wir erleben gemeinsam eher einen Abbruch. Das schmerzt.“ Immel hätte sich gerne weiter engagiert als Leiter der Abteilung VI „Finanzen und Vermögen“. Doch er wie auch die Synode selbst standen unter dem Dilemma unabgeschlossener Verfahren, in denen es um die Frage individueller Schuld im Zusammenhang mit der bbz-Affäre ging. So war für ihn die Möglichkeit verbaut, noch einmal erfolgreich für das Amt des „Finanzchefs“ der rheinischen Kirche zu kandidieren - deutlich vor der Zeit, denn unter anderen Verhältnissen hätte der bald 60-jährige noch etliche Jahre in dieser Funktion vor sich gehabt.

Ich persönlich halte den Faktor, den individuelles Versagen und individuelle Schuld beim Thema bbz gespielt haben, für eher zweitrangig. Alleine die Differenz zwischen jenen 8,5 Mio. €, die das bbz durch Anlagenbetrug einbüßte und jenen insgesamt 21,6 Mio. € mit denen das Unternehmen durch Kirchensteuermittel stabilisiert werden musste, signalisieren die Problematik beim Geschäftsmodell, dass sich bereits beim Kauf durch die rheinische Kirche im Jahr 1999 abzeichnete. Mir ist allerdings auch bewusst, dass diese Einschätzung angreifbar ist. Ohne genaue Kenntnis der Vorgänge im Detail im Zusammenhang mit der bbz-Finanzaffäre ist ein belastbares Urteil zur Frage individuellen Versagens kaum möglich. Dies gilt noch mehr für die Kommunikation innerhalb der Kirchenleitung im Anschluss an das Offenkundig werden der in der Tat skandalösen Verhältnisse, die bis zur Übernahme der Geschäftsführung durch Harald Ohlmeier beim bbz geherrscht haben.

Persönliche Erfahrungen

Man kann aber sehr wohl von persönlichen Erfahrungen mit Immel berichten. Seit fast 12 Jahren bin ich Vorsitzender eines kreiskirchlichen Finanzausschusses. In dieser Zeit hatte ich immer wieder punktuelle Kontakte mit Immel. Ich habe ihn stets als offenen, überaus kompetenten und hilfreichen Partner empfunden.

Manfred Rekowski sagte in seiner Abschlussrede an Georg Immel gewandt: „Bis zu dem Zeitpunkt, als Du 1997 zum Finanzdezernenten gewählt wurdest, hat die Synode den Haushalt der Landeskirche kontrovers detailliert im Plenum diskutiert und abgestimmt. Es gab eine Unkultur des Misstrauens und es gab hohe Intransparenz. Durch Deine Amtsführung ist dies in kürzester Zeit beseitigt worden. Du hast Standards gesetzt und gezeigt, was mit Transparenz und Vertrauensbildung möglich ist. Die Synode hat dies regelmäßig mit meist einstimmigen Beschlüssen zum Haushalt gedankt. Das ist – neben vielem anderen – unabhängig von den offenen und ungeklärten Fragen Dein bleibender Verdienst.“ - Das trifft es ziemlich gut. 1997 trat Immel ein anspruchsvolles und schwieriges Erbe an. Binnen kurzer Zeit stellte er durch das erkennbare Bemühen um Transparenz und Offenheit Vertrauen her. Die Lektüre der ersten Finanzberichte war für mich persönlich ein Genuss mit Fortbildungscharakter. Ihre Argumentationslinien waren ebenso wie ihr hoher Informationsgehalt ausgesprochen hilfreich für die Arbeit im Kirchenkreis. Das Gleiche gilt für weitere Impulse aus der damaligen Finanzabteilung.

Spätestens ab 2006 konnte ich allerdings bestimmten Grundentscheidungen, die Immel mittrug und zum Teil auch herbeiführte, nicht mehr folgen und übte zunehmend auch öffentlich Kritik in „Transparent“, den „Zwischenrufen“ und der Homepage von Manfred Alberti. Dies betraf im Wesentlichen 3 Aspekte der „rheinischen Finanzpolitik“:

  • Die Übernahme der sog. „Einfachen Formel“ mit der damit verbunden unseriösen Langfristprognostik in den Sprachgebrauch der rheinischen Kirche;
  • die daraus resultierenden meiner Ansicht nach übertriebenen Zuzahlungen an die Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte von mittlerweile 22% des Netto-Kirchensteueraufkommens;
  • die zum Teil bitteren Folgen für die Beschäftigten (Existenzängste, Stellenreduzierung, Arbeitsplatzverlust).

In dieser Zeit suchte ich brieflichen Kontakt mit Immel und war positiv überrascht über die kompakten und offenen Antworten, die er mir zukommen ließ. Dass trotz signifikanter Meinungsgegensätze ein offener, freundlicher und von Respekt getragener Diskurs möglich war, hat mein „Heimatgefühl“ zur Ev. Kirche im Rheinland bestärkt.

Georg Immel wird mir als Ansprechpartner in der „Düsseldorfer Zentrale“ fehlen. Die Republik ist voll von Storys über zweifelhafte Cross-Border-Leasing Geschäfte von Kommunen (Wuppertaler können hiervon, wie ich gehört habe, ein besonderes Lied singen), misslungen ppp-Projekten wie dem Nürburgring oder Stadtkämmerern, die zum Schaden des Gemeinwesens den Einflüsterungen von betrügerischen Finanzberatern erlegen sind. Die rheinische Kirche hat ihren bbz-Skandal, der trotz der Trauer über die verlorenen Millionen ihre Finanzkraft jedenfalls dauerhaft kaum beeinträchtigt. Damit soll keineswegs bestritten oder gar verharmlost werden, dass durch die Vorgänge beim bbz ein immenser immaterieller Schaden für unsere Kirche entstanden ist. Allerdings bin ich der Ansicht, dass das, was Georg Immel, seitdem er 1986 Landeskirchenrat wurde, für seine Kirche geleistet hat, durch seine Rolle in Sachen bbz nicht wirklich geschmälert werden kann. Ich habe jedenfalls größten Respekt vor seiner Lebensleistung und bin sicher, dass ich damit nicht alleine stehe.

„Kirche der begnadigten Sünder“

Man erzählt, dass es jenseits der Mauern des Landeskirchenamtes ein Leben geben soll, erfüllter und schöner, als es sich mancher, dessen Lebensgefühl durch die erregende aber nicht immer freudvolle Atmosphäre in diesem Gebäude geprägt ist, vorstellen kann. Am Ende eines Weges steht mitunter in den Augen der Welt und manchmal auch in den Augen der kirchlichen Organisation das Scheitern. Für Menschen, in deren Glaubenszentrum der Gekreuzigte steht, ist ein derartiges Scheitern jedoch eine Grundform christlicher Existenz. Biographien wie die von Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider, die gewiss unvergleichbar mit der von Georg Immel sind belegen dies.

Und von Beginn an war der Glaube an den Gekreuzigten die Hoffnungskraft der Gescheiterten und Gedemütigten. Nicht, wie die NKF-Logik uns vorschreiben will, der „Erfolg“ ist das Höchste, sondern die Hingabe ist es, die den Jüngerinnen und Jüngern des Gekreuzigten gilt und die sie leiten will hin zu einer Existenz für andere.

Hier ist es angebracht, noch einmal auf die Worte des neugewählten Präses zu hören. In seiner Abschlussrede an die Synode spricht er von der „Kirche der begnadigten Sünder“. Ihnen gilt die Hingabe des Gekreuzigten. „In der Kirche der begnadigten Sünder gibt es immer auch die Schuld der Verantwortungsträgerinnen und -träger. Aber es gibt genauso die Schuld der Zuschauer, der Mitläuferinnen und der Träger von weißen Westen. Manchmal ist man mehreres zugleich. In der Kirche der begnadigten Sünder gibt es eine Solidarität der Schuldigen, die einander nichts voraus haben. Diese solidarische Schuldgemeinschaft ist hier seit einer Woche versammelt und sie bleibt dies auch, wenn sich Wege trennen. ‚Noch will das Alte unsere Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwerer Last.‘ Doch Gott redet, wirkt und heilt.“

Dies ist tröstlich, denn Schuld und Scheitern prägt wohl mehr den Alltag unserer Kirche, als sogenannte „Erfolge“, einfach deswegen, weil wir allesamt begrenzte Menschen sind. Leider hat die Kälte der Institution, die in der Vergangenheit allzu oft ihre eigenen Belange über die einzelner Menschen in ihrem Verantwortungsbereich gestellt hat, eine Vielzahl an gebrochenen Biographien hervorgebracht; vielversprechende Frauen und Männer, die sich nach Abberufungen, Stellenstreichungen oder dem Scheitern im zentralen Auswahl- und Bewerbungsverfahren oft nach jahrelangem gedeihlichem Dienst für ihre Kirche in einer beruflichen  und biographischen Wüstenlandschaft wiederfanden.

Das scheinbare Scheitern am Kreuz und die Hingabe des Gekreuzigten sind die Voraussetzungen für die österliche Erfahrung neuen Lebens. „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem , dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“ (Barmen II). Eine Kirche, die sich als solidarische Schuldgemeinschaft versteht, wird aus der Kraft dieses Zuspruchs und Anspruchs heraus ihre Verantwortung für die am Rande stehenden oder an den Rand gedrängten Geschwister neu wahrnehmen.

Und so kann das Ende eines Weges kann zugleich den neuen Anfang markieren - für die Kirche insgesamt wie für den Einzelnen oder die Einzelne mit den Brüchen, Verletzungen und der Bitterkeit. Zu Beginn mag er als steiniger Pfad anstrengend und mühsam sein, er kann jedoch zu einem erfüllteren Leben in Freiheit führen.

Und auf diesem Weg gilt der Wanderin und dem Wanderer die ermutigende Erfahrung des Psalmisten:

„Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.
              Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz,
dass ich gewiss nicht fallen werde.“ (Psalm 62,2.3)

 

 

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