Dürener Stellungnahme Juni 2011

WIR BRAUCHEN ZEIT FÜR EINE DEBATTE!

Kritische Anmerkungen des Dürener Studientages zur kirchlichen Personalplanung und Verwaltungsstrukturreform

Thesen:

1. Sowohl der Zeitplan als auch die vorgesehene Beteiligung der Gemeinden ist unzureichend für die vorgesehenen Entscheidungen zur Personalplanung und Verwaltungsstruktur, die weitreichende Folgen für die Organisations- und Finanzhoheit der Presbyterien haben werden.

2. Wir stellen in Frage, dass größere Einheiten in der Verwaltung zu geringeren Kosten und weniger Fehlern in der Verwaltung führen werden.

3. Wir stellen in Frage, dass die Ansiedlung von Hauptamtlichen auf der Ebene des Kirchenkreises die Qualität der Arbeit im Kirchenkreis und in den Gemeinden garantiert.

4. Wir lehnen die Trennung zwischen diakonischem Handeln der Kirche und Gemeinde vor Ort ab, die in den vorgeschlagenen Umstrukturierungen implizit enthalten ist.

5. Wir lehnen ein „Ämter“-Verständnis ab, das das Miteinander von Hauptamtlichen als Nebeneinander von Spezialisten beschreibt.

6. Wir lehnen ab, dass das Recht auf eigenverantwortliches Leitungshandeln der Gemeinde als bloße „Teilhabe“ der Gemeinden an kirchlichen Entscheidungen charakterisiert wird.

7. Wir lehnen eine Entwicklung ab, die Personalplanung mehr und mehr zur Aufgabe von Verwaltungsspezialisten macht.

8. Es ist darauf zu achten, dass der Status der Gemeinden als Körperschaft öffentlichen Rechtes nicht ausgehöhlt wird, indem Finanz-, Personal- und Organisationshoheit verloren gehen.

9. Wir sehen auch die Notwendigkeit
- eines wirkungsvollen Einsatzes von weniger bezahlter Arbeit und weniger Geld,
- der Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg,
- einer besonderen Anstrengung zum Erhalt von Arbeitsfeldern und zur Gewährleistung der Professionalität.

10. Die bestehenden Gesetze und Verordnungen unserer Kirche bieten hinreichenden Spielraum, um dies in den Kirchenkreisen zu ermöglichen.

Stellungnahme des Dürener Studientages vom 9. Juni 2011

1. Die geplanten zeitlichen Abläufe – Vorstellung der genaueren Reformvorschläge in den Regionalkonferenzen bis September – schließen aus, darüber in den Presbyterien und Kreissynoden so zu diskutieren, dass auch qualifizierte Entscheidungen möglich sind, welche Vorschläge befürwortet und welche abgelehnt werden – oder etwas Neues für die Region Passendes zu entwickeln.

2. Die diskutierten Fragestellungen sind aber für das Selbstverständnis unserer Kirche von so grundlegender Bedeutung, dass einer Entscheidung der Landessynode ausführliche Diskussionen in den Kreissynoden und Presbyterien vorausgegangen sein müssen.

3. Es geht nicht nur um einzelne Detailfragen, sondern um die zukünftige Gestalt von Kirche. Wir wenden uns dagegen, dass unsere Kirche vorrangig unter Gesichtspunkten wie Effizienz, Vergleichbarkeit, Vereinheitlichung und zentralisierter Planung und Steuerung gestaltet wird.

4. Wir meinen vielmehr, dass die bestehenden Gesetze und Verordnungen genügend Gestaltungsmöglichkeiten anbieten, um in Kirchenkreisen, Regionen und Kirchengemeinden die nötigen Entscheidungen wie z.B. Kooperationen und Regionalisierung zu regeln.

5. Wir sind der Auffassung, dass die Situationen und Notwendigkeiten hinsichtlich Personalplanung und Verwaltungsstrukturen in den Kirchenkreisen und Regionen so unterschiedlich sein können, dass landeskirchliche einheitliche Regelungen uns Möglichkeiten nehmen würden, um uns als Kirche vor Ort sachgerecht zu organisieren.

6. Wir stellen vielmehr die stillschweigenden Voraussetzungen der Vorschläge in Frage:
- Stimmt es, dass größere Einheiten Einsparmöglichkeiten bieten, ohne den Bezug zu den Gemeinden vor Ort zu verlieren?
- Stimmt es, dass ‚Vermögensschäden’, die aufgrund fachlicher Fehler entstanden sind, im Rahmen „effizienter, qualitätssichernder und vergleichbarer Strukturen“ ausgeschlossen werden können?
- Stimmt es, dass die Qualität der Arbeit in den Gemeinden durch die Ansiedlung von Stellen auf der Ebene der Kirchenkreise gewährleistet werden kann?

7. Eine weitere Implikation der Papiere ist die Trennung von Kirche und Diakonie. Wir erkennen allerdings gerade, wie nötig es ist, beides wieder enger zusammenzuführen. Dem läuft das Bild des Pfarramtes geradewegs zuwider, wenn es unter Entlastungsgesichtspunkten auf „Verkündigung und Seelsorge“ eingeschränkt werden soll. Wir denken, dass beides nicht von der diakonischen Aufgabe getrennt werden kann und darf. Dazu bedarf es notwendigerweise der engen Zusammenarbeit mit anderen diakonisch qualifizierten Mitarbeitenden.

8. Wir sehen die Zukunft des Miteinanders von Pfarrberuf und anderen kirchlichen Berufsgruppen in der „Dienstgemeinschaft“ von Mitarbeitenden der verschiedenen Arbeitsfelder einschl. des Pfarrdienstes, die miteinander vernetzt sind als „multiprofessionelle“ Expertenteams. Nötig ist nicht die Beschränkung des Pfarramtes auf angebliche „Kernaufgaben“, sondern Teamgeist und Verknüpfungsfähigkeit mit den vielfältigen Begabungen anderer Mitarbeitenden und verschiedenen Aufgaben in den Arbeitsfeldern unserer Kirche und Gemeinden.

9. Wenn gut ausgebildete hauptamtliche Experten aus den Berufsgruppen Kirchenmusik, Jugendarbeit etc. verstärkt auf Kirchenkreisebene angesiedelt sind, verhindert dies nicht einen Stellenabbau. Es kann ebenso Stellenabbau legitimieren und vereinfachen. (1)  Darüber hinaus hat die vermehrte Ansiedlung der entsprechenden Stellen auf Kirchenkreisebene die Konsequenz, dass Pfarrer und Pfarrerinnen zunehmend näher an der praktischen Arbeit vor Ort sind als die Personen anderer Berufsgruppen. Dies führt zu einer größeren Pfarrerzentriertheit in der Praxis der Gemeinden.

10. Wir unterstreichen nicht, „... dass die Gemeinde der Getauften ihr Recht auf Teilhabe (sic!) am Leitungshandeln auch weiterhin wahrnehmen kann.“ (Beschluss 6 der außerordentlichen Landessynode 2010) Nach unserem Verständnis von Gemeinde und der presbyterial-synodalen Ordnung (in dieser Reihenfolge!) beschränkt sich das gemeindliche Leitungshandeln nicht auf „Teilhabe“, sondern die Gemeinde der Getauften hat ein Recht auf eigenverantwortliches Leitungshandeln.

11. Kirchengemeinden sind ebenso wie Kirchenkreise und Landeskirche ‚Körperschaften öffentlichen Rechtes’. Für die Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche im Rheinland ist das bisher verbunden u.a. mit der Finanz-, der Personal- und der Organisationshoheit und einem damit einhergehenden Selbstverständnis. Dieses Statut sollte nicht ausgehöhlt werden, weil es ‚Evangelische Kirche vor Ort’ schwächen würde.

12. Mit den Reformüberlegungen sollen Erfahrungen der Kommunen aufgenommen werden (2): Dort erkennt man allerdings gerade, dass die erwarteten Ziele nicht erreicht werden.

13. Wir sehen uns in der Pflicht und erklären unsere Bereitschaft daran mitzuwirken, im Rahmen der bisher schon bestehenden Möglichkeiten Wege zu entwickeln, den berechtigten Fortbildungsanspruch zu verwirklichen, einen effizienten Einsatz von Personal- und Sachmitteln zu gewährleisten, die Sicherstellung der selbstverantwortlichen Arbeit der Presbyterien, die Erhaltung von Arbeitsfeldern und Berufsgruppen im Kirchenkreis durch Kooperation und Regionalisierung zu unterstützen.

1 „Das erfordert eine neue Rollendefinition ... bei den Hauptamtlichen. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit wird es sein, ehrenamtliche Arbeit anzustoßen, zu unterstützen, zu koordinieren und im Hintergrund den institutionellen Rahmen zu gewährleisten, während die unmittelbaren Kontakte weitgehend von den Ehrenamtlichen wahrgenommen werden.“ (Kirchliche Personalplanung. Zur Umsetzung von Beschluss 53 LS2011, Stand: 10.06.2011, S. 25)
2 Struktur der Verwaltung (KL-Vorlage, LS 2011, DS 31).

Resolution der Teilnehmenden am Studientag:

Wir, 130 Teilnehmende aus ca. 55 Kirchengemeinden und Kirchenkreise der Evangelischen Kirche im Rheinland am Studientag zu den Strukturreformen, halten (bei drei Enthaltungen) fest:

a. Das von der Kirchenleitung eingerichtete Internetforum zu den Strukturreformen ist kein ordentliches Mittel zur Beteiligung der Gemeinden und Kreissynoden an der notwendigen Debatte zu den vorgeschlagenen Strukturveränderungen in unserer Kirche.

b. Auch die von der Kirchenleitung vorgesehenen Regionalkonferenzen sind kein ordentliches und geeignetes Mittel zur Beteiligung der Gemeinden und Kreissynoden.

c. Die inhaltlichen Bedenken gegenüber den vorgeschlagenen Strukturveränderungen und die Kritik an den in ihren Begründungen enthaltenen Grundannahmen sehen wir in der Dürener Stellungnahme aufgenommen.

d. Wir bitten alle Presbyterien und die Synoden der Kirchenkreise, sich dafür einzusetzen, dass die Landessynode 2012 keine inhaltlichen Festlegungen zu den geplanten Strukturreformen vornimmt, sondern einen ordentlichen Diskussionsprozess im Rahmen eines Proponendums einleitet. In diesem Proponendum sollen die verschiedenen Diskussionsprozesse zur Verwaltungsstruktur, zur Gesamtpersonalplanung, zum Pfarrbild und zur Aufgabenkritik in ihrer wechselseitigen Bedingung in den Blick genommen werden.

 

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