Für eine Kirche in Solidarität!
Anmerkungen zu den Initiativen der Kirchengemeinden Alpen und Düren und zum rheinischen Reformprozess
Von Hans-Jürgen Volk
Es gibt gute Gründe, unruhig zu werden angesichts der Entwicklung die auch die Ev. Kirche im Rheinland in den letzten Jahren genommen hat. Bedenklich wurde es schon 2006, als im Rahmen der sog. „Prioritätendiskussion“ die Ergebnisse von zwei landeskirchlichen Arbeitsgruppen vorgelegt und die Kirchenkreisen, Gemeinden sowie die Ausschüssen der Landeskirche im Stellungnahme gebeten wurden. Anvisiert war bereits damals eine grundlegende Umgestaltung unserer Kirche. Der Bauplan für die Renovierung stand bereits fest und konnte wenig später im von einer EKD-Perspektivkommission vorgelegten Impulspapier mit dem Titel „Kirche der Freiheit“ nachvollzogen werden. Die kirchliche Basis bekam keine Möglichkeit, sich zu der veränderten Gesamtarchitektur zu äußern, sondern wurde anhand sogenannter „Protokollbögen“ lediglich zu Einzelmaßnahmen befragt.
Es war der Wuppertaler Gemeindepfarrer Manfred Alberti, der damals die Initiative ergriff und kritische Stellungnahme von teilweise beachtlichem Niveau auf einer eigenen Homepage sammelte. (Leider ist sie heute nicht mehr zugänglich). Doch diese Stellungnahmen hatten ebenso wenig wie der Ergebnisse der Befragung durch die Protokollbögen einen signifikanten Einfluss auf den weiteren Fortgang der Kirchenreform. Im Gegenteil: 2006 sprachen sich z.B. zwei Drittel der Presbyterien gegen ein verbindliches Aufgaben- und Strukturkonzept auf Kirchenkreisebene aus. Nun sollen die Kirchenkreise Planungsebene für die Personalplanung werden - gewiss etwas abgespeckt, aber es ist der alte Gedanke.
Man müsste sich ernsthaft Sorgen um die Vitalität unserer Kirche machen, wenn Kirchengemeinden wie die aus Alpen, die sich schon damals mit fundierten Stellungnahmen gegen den vorgelegten Umbauplan wandten, heute schweigen würden.
Die Gemeinde Düren hat eigene Erfahrungen hinter sich im Zusammenhang mit der Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF). Es gab sehr gute Gründe, sich für die erweiterte Kameralistik einzusetzen, wie es der Kirchenkreis Jülich, zu dem Düren gehört, auf der Landessynode im Januar 2011 tat. Aber man wurde kirchenpolitisch überspielt. Die NKF-Implementierung ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wenig die landeskirchliche Leitungsebene noch auf die Befindlichkeit der eigenen Basis hört sondern stattdessen und in offenkundiger Konkurrenz hierzu EKD-Impulsen nachgibt.
Die Konsequenz aus dieser Erfahrung ist die Einladung zum einem Studientag am 9. Juli 2011. Aufgewertet wird diese Veranstaltung dadurch, dass die Bochumer Theologieprofessorin Isolde Karle als Referentin gewonnen werden konnte, die das äußerst lesenswerte Buch „Kirche im Reformstress“ verfasst hat.
Die Kirchengemeinde Alpen wollte ursprünglich ebenfalls am 9. Juli zu einem Informationsabend zur Strukturreform einladen. Zugunsten der Dürener Veranstaltung möchte sie ihn auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Die Kirchengemeinde Alpen schlägt die Gründung eines „Rheinischen Gemeindebundes“ vor. Ausgangspunkt sind ähnlich wie bei der Kirchengemeinde Düren die Überlegungen zur kirchlichen Personalplanung (Vorlage 4 Landessynode 2011 - zugänglich unter: http://www.ekir.de/www/downloads/LS2011_DS_04_Personalplanung.pdf).
Der rheinische Reformprozess sorgt für Unruhe, allzu oft ist er auch Anlass für Entmutigung und Resignation. Daher besteht die dringende Notwendigkeit einer besseren Vernetzung kritisch denkender Menschen in unserer Landeskirche hin. Beide Kirchengemeinden verfolgen diesen Ansatz durchaus und sind darin auch zu unterstützen. Es steht allerdings vor allem die Parochialgemeinde und deren Leitungsgremien, die Presbyterien, im Focus. Ist dies wirklich angemessen? - Oder anders - vor allem in Richtung Alpen gefragt:
Ist die Gründung eines Gemeindebundes eine gute Idee?
Nachvollziehbar ist sie in jedem Fall. Man wundert sich, dass es gerade im Rheinland angesichts der Entwicklung seit 2006 nicht bereits wesentlich früher zu einem solchen Zusammenschluss gekommen ist. Doch gerade die Kritik an dieser Entwicklung fordert doch dazu heraus, die Kirche mit all ihren Ebenen in den Blick zu nehmen. Denn die betriebswirtschaftliche Neuorientierung, der verhängnisvolle Drang zur Selbstökonomisierung in Verbindung mit einem mittlerweile strukturell verankerten Misstrauen gegenüber eigenständigem und eigenverantwortlichem Handeln betrifft gerade die abhängig Beschäftigten sowohl der landeskirchlichen, der kreiskirchlichen wie in der Tat der Gemeindeebene (und hier sind die ehrenamtlich Engagierten vor allem in den Presbyterien besonders betroffen) - von den MitarbeiterInnen in diakonischen Einrichtungen ganz zu schweigen.
Nachdem die Ev. Kirche im Rheinland ab Mitte der 90-er Jahre bedingt durch steuerpolitische Maßnahmen, eine hohe Arbeitslosigkeit und eine stagnierende wirtschaftliche Entwicklung über Jahre hinweg stetig an Finanzkraft verlor, begannen einschneidende Sparmaßnahmen zunächst auf der landeskirchlichen Ebene - was nicht heißt, dass auch in einzelnen Gemeinden und Kirchenkreisen bereits damals Stellen abgebaut und Einrichtungen geschlossen wurden. Wichtige Einrichtungen wie die Predigerseminare in Bad Kreuznach oder Essen oder das Pastoralkolleg in Rengsdorf wurden aufgegeben, u.a. im Frauenreferat, im KDA-Bereich oder auch im Landeskirchenamt wurden Arbeitsplätze abgebaut. Diese Maßnahmen waren in der Regel verbunden mit strukturellen Veränderungen, die erhebliche Belastungen für die verbliebenen MitarbeiterInnen bedeuteten. Es ist natürlich eine subjektive Einschätzung, aber mit großer Wahrscheinlichkeit haben die bei der Landeskirche direkt angesiedelten Beschäftigten in den vergangenen Jahren den größten Leidensdruck aushalten müssen.
Dies zeigt zweierlei: 1. Der Glaube, mit einer Verlagerung auf eine nächst höhere Ebene sei eine größere Arbeitsplatzsicherheit gegeben, ist eine naive Illusion. 2. Menschen, die so unter Druck stehen, haben ein Anrecht auf die Solidarität der Gemeinden.
Es ist zu befürchten, dass ein Gemeindebund den letzten Gesichtspunkt ausblenden und vor allem die Belange der Ortsgemeinden vertreten würde. Dies hätte sicher auch sein begrenztes Recht, wäre aber eine eher defensive und eine zudem wenig solidarische Strategie.
Kirche in Solidarität statt „Kirche in Konkurrenz“
1997 veröffentlichte Michael Nüchtern das Buch „Kirche in Konkurrenz“, mit dem er für die Umsetzung betriebswirtschaftlicher Methoden im Bereich der Kirche warb. Im Vergleich zu dem, was sich später die EKD zu eigen machte und was spätestens seit der NKF-Einführung, durch die die Trias Erfolg - Effektivität - Effizienz zu Leitlinien kirchenleitenden Handelns erklärt werden, auch in der Rheinischen Kirche umgesetzt werden soll, erscheint das Werk von Nüchtern als harmlose Postille. Der aktuelle Bauplan ist der einer Kirche, die als Dienstleistungskonzern mit den entsprechenden Managementmethoden geführt werden soll. Nahezu kritiklos hat man eine Ideologie aufgegriffen, wie sie z.B. von der Bertelsmannstiftung und anderen neoliberalen Organisationen vertreten wird, nach der die deutsche Gesellschaft und am Ende natürlich die ganze Welt durch Unternehmerisches Denken und Handeln, sowie an den Prinzipien von Konkurrenz und Wettbewerb genesen soll. „Von der Wirtschaft lernen!“ lautet ein Imperativ aus „Kirche der Freiheit“, der in seiner Pauschalität skurril wirkt und in einer Gesellschaft, in der in den vergangenen Jahrzehnten nahezu alle denkbaren Lebensbereiche Marktmechanismen und Kommerzialisierungsprozessen ausgesetzt sind, einen destruktiven und unsozialen Mainstream fördert. So erstaunt es wenig, dass die Ähnlichkeiten zwischen dem kirchlichen Reformprozess und dem Umbau z.B. der deutschen Hochschullandschaft frappierend sind. Man folgt hier wie dort den gleichen verhängnisvollen ideologischen Vorgaben. Vergleicht man Privatisierungsprozesse von einstigen Staatsunternehmen oder den Umbau öffentlicher Verwaltungen oder eben auch Bildungseinrichtungen mit dem kirchlichen Reformprozess, kann man allenfalls über den Mangel an Originalität erstaunt sein, mit dem die Kirchenreformer agieren und Vorgänge im Bereich des öffentlichen Sektors, gecoacht von eigennützigen Beratungsunternehmen, in großer Schlichtheit nachvollziehen. Der kirchliche Umbauprozess ist eben nicht inspiriert durch theologische Leidenschaft, sondern durch Blaupausen, die von außen kommen und die mit Geschick durch einen unredlichen Finanzalarmismus kirchenpolitisch verbindlich gemacht wurden. Dies schwächt tatsächlich die Ortsgemeinden und ihre Leitungsorgane in ihrer Handlungsautonomie. Geschwächt und in ihrer Integrität beschädigt werden allerdings auch die Synoden. Denn in den vergangenen Jahren sind die eigentlichen Akteure, die die Ergebnisse von Synoden bestimmen, die Kirchenleitung, die Superintendentenkonferenz und die Kreissynodalvorstände. Der Prozess um die NKF-Implementierung ist ein Beispiel hierfür. Am meisten leiden jedoch die abhängig Beschäftigten der Kirche und zwar in allen Berufsgruppen. Sie sind nicht überall, aber doch an allzu vielen Stellen die eigentlichen Opfer der kirchlichen Selbstökonomiesierung.
Nun ist es fast tragisch, dass ausgerechnet jene Vorlage 4 zur kirchlichen Personalplanung an die letzte Landessynode die Unruhe an der kirchlichen Basis verstärkt. Zum einen ist der theologische Einstieg dieses Papiers keineswegs „eine legitimierende theologische Zweitcodierung“ - ein Vorwurf, den Isolde Karle mit Recht gegenüber dem Reformprozess, wie er in „Kirche der Freiheit“ angelegt ist, erhebt - , sondern eindeutig handlungsleitend. Zum anderen liegt hier der ernsthafte Versuch vor, der Stellenerosion durch die strukturelle Förderung von Kooperation kirchlicher Körperschaften untereinander zu begegnen. Nicht zuletzt, und dies wertet die Vorlage zusätzlich auf, ist sie auf Drängen und unter Mitwirkung der Mitarbeitenden entstandenen.
Allerdings ist die Akzeptanz des Papiers wohl in hohem Maße abhängig von der Situation in den jeweiligen Kirchenkreisen. Es gibt Kirchenkreise, die klug, einfühlsam und kommunikativ geleitet werden. Hier dürften die Widerstände am geringsten sein. Ist dies jedoch typisch für die Ev. Kirche im Rheinland? In strukturell und sozial heterogenen Kirchenkreisen, deren Leitung möglicherweise noch von fragwürdiger Qualität ist, werden Presbyterien die in dem Papier enthaltenen Optionen in weitaus stärkerem Ausmaß als Bedrohung empfinden.
Die Vorlage hat die entscheidende Schwäche, dass sie die Frage der Verteilung von Finanzmitteln ausklammert und lediglich die letztlich spekulative Grundannahme übernimmt, dass in Zukunft die Finanzkraft der Kirche deutlich abnehmen wird. Mit diesem fragwürdigen Argument wird dann für die Verlagerung der Personalplanung auf die Kirchenkreisebene geworden. (Vgl. hierzu http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-arbeit/die-zeiten-fuer-abhaengig-beschaeftigte-der-ev.-kirche-im-rheinland-werden-noch-haerter.php) Nicht wirklich überraschend ist der Tatbestand, dass die Vorlage sich trotz des sympathischen theologischen Einstiegs organisch eingliedert in die bisherigen Reformschritte, die trotz aller rheinischen Besonderheiten letztlich dem Modell einer „Kirche in Konkurrenz“ folgen.
Dem ist die Vision einer Kirche in Solidarität entgegenzusetzen. Dies wäre eine Kirche, in der die unterschiedlichen kirchlichen Ebenen sich gegenseitig stützen und dienen und in der man konsequent auf Versuche verzichtet, diejenigen, die der kirchenleitenden Einsicht nicht folgen können, mit Druck zu dieser „Einsicht“ zu nötigen (vgl. hierzu die 4. These der Barmer Theologischen Erklärung).
Barmen 3 qualifiziert die Kirche als „Gemeinde von Brüdern“. Hier ist eben nicht nur die Parochialgemeinde, sondern die Kirche in ihrer Gesamtheit gemeint. Entscheidend ist die Geschwisterlichkeit, also ein solidarisches Miteinander, das durch das gemeinsame Tragen von Lasten und Nöten gekennzeichnet ist. Die Kirche hat von ihren Ursprüngen her eine wesentlich größere Affinität zu einer Großfamilie, als etwa zu einem Großkonzern. Dass im Nahbereich der Ortsgemeinde diese familiäre Geschwisterlichkeit - übrigens auch mit all den Konflikten, die dazu gehören - in größerer Dichte und Verbindlichkeit auftreten dürfte, als etwa im Umfeld von City-Kirchen oder von kirchlichen Bildungseinrichtungen, dürfte unbestritten sein - wenngleich manchmal auch das Gegenteil durchaus möglich ist.
Es liegt fast in der Natur der Sache, dass kirchliche Akteure, die von einem oft genug nur unzulänglich adaptierten betriebswirtschaftlichen Denken infiziert sind und einer „Kirche in Konkurrenz“ das Wort reden, oft gnadenlos über das geschwisterlich-solidarische Beziehungsgeflecht hinweggehen und mit ihrem Drängen auf effizientere Strukturen unserer Kirche erheblichen Schaden zufügen. Das gerade vitale Gemeinden vor Ort hierfür besonders sensibel sind und um ihre Integrität kämpfen, ist gut für unsere Kirche.
Von der Ortsgemeinde aus betrachtet umfasst das solidarische Miteinander jedoch auch die Sorgen und Nöte von Beschäftigten auf der Ebene von Gemeinden, von Kirchenkreisen oder der Landeskirche. Im Übrigen: der in Barmen 3 angesprochene Zeugnischarakter der äußeren Gestalt der Kirche konkretisiert sich gerade auch im Umgang mit den eigenen Beschäftigten auf allen kirchlichen Ebenen.
Eine Kirche in Solidarität ist eine Kirche, in der die Unterschiede im Blick auf Geschlecht und sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft und sozialen Status im internen Miteinander aufgehoben sind (Vgl. Gal. 3,28).
Eine Kirche in Solidarität steht darüber hinaus auf Seiten der Ausgegrenzten und Verlierer. Sie ist Kirche für die Armen und mit den Armen und wird von daher statt der Reform zu einer EKD-Nationalkirche, die bestenfalls noch eine westeuropäische Landschaft in den Blick nimmt, die Verbindung mit der weltweiten Ökumene und insbesondere mit den Geschwistern in den Ländern des Südens wieder intensivieren.
Die Initiativen der beiden Kirchengemeinden Alpen und Düren haben viel für sich. Erfreulich wäre es, wenn die genannten Aspekte mit bedacht werden könnten.