Notizen aus der Provinz –
Anmerkungen zum Zustand der EKiR nach der Landessynode 2024
Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Kommentar schreiben. Doch meine Ausführungen wurden immer umfangreicher. Dies liegt vielleicht auch daran, dass mir die Schwierigkeit bewusst ist, Großstadtbewohnern die Besonderheiten des ländlichen Raums nahezubringen. Und dies ist mein Anliegen. Außerdem tut es mir weh, meine Kirche in einer derart problematischen Verfassung vorzufinden.
Mein Morgen begann mit der Lektüre des Präsesberichts von Thorsten Latzel. Das war erst einmal wohltuend und ermutigend. Da artikuliert sich ein Mann, der aus einer tiefen Glaubensüberzeugung heraus das Beste für seine Kirche und die Menschen will. Als gut und passend empfand ich die klaren Worte zum Thema AFD und Rechtsextremismus. Bei seiner Empfehlung, mehr auf Gottes Wort und aufeinander zu hören, sprach er mir aus der Seele. Die konfliktträchtige Situation, in der sich unsere Gesellschaft befindet, hat wohl viel damit zu tun, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen, viel zu wenig auf diejenigen hören, die von diesen Entscheidungen betroffen sind. Die Worte des Präses geben mir Mut zu diesen Zeilen und lassen die Hoffnung in mir wachsen, Gehör zu finden.
Woher der Unmut kommt
Da gab es den Aufstand der Landwirte. Sollten die Pläne zur Besteuerung des Agrardiesels Bestand haben, würde dies trotz der Entschärfung der ursprünglichen Maßnahmen für die Landwirtschaft im nördlichen Westerwald eine weitere Aufgabe von Betrieben bedeuten. Tatsächlich verbindet sich der Zorn der Landwirte mit einer Reihe von weiteren Frustrationspunkten in unserer Region.
Als wir im Januar 2000 nach Eichelhardt zogen, gab es dort 3 Gaststätten, eine Bäckerei mit einem kleinen Supermarkt, eine Metzgerei, 2 Bankfilialen und einen Raiffeisenmarkt. Heute gibt es lediglich noch eine Bankfiliale, die allerdings auch nur begrenzt geöffnet hat. Eichelhardt ist hier beileibe kein Einzelfall. Es gibt im Landkreis Altenkirchen etliche Dörfer mit einer ähnlichen Entwicklung. Auch in den Mittelzentren wie Betzdorf, Wissen oder Altenkirchen sieht es nicht viel besser aus. So sind z.B. von den Metzgereien und Bäckereien, die es in den 80-er Jahren noch gab, bestenfalls 10% übriggeblieben. Auch beim übrigen Einzelhandel oder in der Gastronomie gibt es eine ähnliche Entwicklung.
In Eichelhardt gibt es noch eine Besonderheit. Wobei für den gesamten Landkreis eine erstaunliche Feststellung gemacht werden kann: Nach wie vor existiert ein zäher und kreativer Mittelstand. Trotz schwacher Infrastruktur gibt es im Landkreis eine Reihe von Unternehmen, die sich im Wettbewerb hervorragend behaupten und sogar in ihrer Sparte Weltmarktführer sind.
Ein derartiges Unternehmen befindet sich auch in Eichelhardt. Nun ringt Eichelhardt um ein neues Dorfgemeinschaftshaus und einen neuen Sportplatz, nachdem das Areal, wo sich diese Einrichtungen bisher befanden, an diese Firma verkauft wurde. Landkreis und Land haben dringend zu diesem Verkauf geraten. Es gibt jetzt wohl eine Planung für ein neues Haus und ein neues Sportgelände, aber die Finanzierung steht noch nicht. Und an mündlich gemachte Zusagen von Zuschussgebern, die zuvor noch den Verkauf befördert haben, wollen diese sich nicht mehr erinnern. Unser Bürgermeister sagt kürzlich im Rahmen einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderats: „Wenn die Dinge schlecht laufen, ist der einzige öffentliche Raum in unserem Dorf demnächst die Friedhofshalle.“
Kürzlich gab es in der Kreisstadt Altenkirchen, die etwa 6.500 Einwohner hat, zwei Demonstrationen: einmal mit 400, zuvor mit 600 Teilnehmern – und das bei ungünstigen Witterungsbedingungen. Es ging um das Altenkirchener Krankenhaus, dass nach Plänen des Trägers bis auf Restbestände, bei denen die ambulante Versorgung im Mittelpunkt steht, demontiert werden soll. Das erregt die Menschen wohl am meisten, zumal der Landkreis bereits in der Vergangenheit Krankenhäuser verloren hat.
Nun lese ich in meiner Tageszeitung, dass der Standort der Landjugendakademie in Altenkirchen abgewickelt werden soll; ein Nackenschlag nach dem anderen. Die Immobilie will man verkaufen und evtl. für eine Übergangszeit Räume anmieten. In Zukunft soll „dezentral“ gearbeitet werden und bestenfalls noch ein Büro als fester Standort dienen.
In dieser Situation hat der Landkreis in seiner nachvollziehbaren Not Folgendes beschlossen: Zwischen Isert und Eichelhardt sollen Container für Flüchtlinge bereitgestellt werden. Nun bin ich entschieden dafür, Menschen in Not beizustehen, zumal wenn sie aus Kriegsgebieten wie Syrien kommen. Aber bereits die Vergangenheit, als man Flüchtlinge und Wohnungslose auf diesem Areal untergebracht hat, hat gezeigt, dass dieser Standort abseits jeder Besiedlung denkbar ungeeignet ist. Vorläufig hat man auf Grund der entstandenen Unruhe auf die Umsetzung dieser Pläne verzichtet.
Nun kann man in jedem von mir geschilderten Einzelfall auf Besonderheiten hinweisen, die eine repräsentative Aussage über die Situation in den ländlichen Regionen zumindest relativieren. Ich bin allerdings davon überzeugt und halte dies auch für nachweisbar, dass der Rückzug von Einzelhandel, Gastronomie und Handwerksbetrieben und erst recht die Gesundheitsversorgung in den meisten Landkreisen des nördlichen Rheinland-Pfalz ähnlich problematisch sein dürfte. Nicht nur ich habe den Eindruck, dass die angebotenen Rezepte zur Krisenbewältigung oft recht einseitig aus einer urbanen Perspektive heraus entwickelt werden. Zu beklagen ist eine Priorisierung betriebswirtschaftlicher Aspekte gegenüber einer Gemeinwohlorientierung. Bei den Betroffenen vor Ort löst dies mitunter nur Kopfschütteln und oft auch Zorn aus.
„Wachsen oder weichen!“
Schaut man noch weiter in die Vergangenheit zurück, so stellt man fest, dass der Landkreis Altenkirchen mindestens einen zweifachen Strukturwandel bewältigen musste. Das Siegtal war ursprünglich geprägt vom Erzbergbau und von der Stahlindustrie. Ähnlich wie im Ruhrgebiet war hier der Strukturwandel kaum vermeidbar. Es gibt noch eine metallverarbeitende Industrie. Dies sind aber eher kleine und mittelgroße Betriebe. Die ursprüngliche Industrielandschaft hat sich völlig verändert. In meiner Heimatstadt Betzdorf war einst die Bahn der größte Arbeitsgeber. Die Bahn hat sich jedoch fast völlig aus Betzdorf zurückgezogen. Daneben verlor die Stadt namhaft Unternehmen wie Wolf-Geräte, Lambertz oder Nickel. Auf den Höhen des Westerwaldes sowie in den nicht industriell genutzten Arealen der Flusstäler wurde intensiv Landwirtschaft betrieben. Es gab im Landkreis mehrere Molkereien. Als ich Mitte der 80-er Jahre Pastor in der Kirchengemeinde Birnbach war, gab es noch in nahezu jedem zweiten Haushalt Viehhaltung. Heute ist da kaum was von übriggeblieben. Wenige Haupterwerbsbetriebe gibt es noch. Stark zurückgegangen ist vor allem die Anzahl der Nebenerwerbsbetriebe, da diese sich kaum mehr rechnen.
Diese Skizze weist auf politische Entscheidungen hin, die an vielen Stellen für ein Ausbluten ländlicher Regionen gesorgt haben. Seit den 80-er Jahren wurde Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge zunehmend Marktmechanismen ausgesetzt. Und natürlich kann man in Regionen mit einer geringeren Bevölkerungsdichte auch weniger Geld verdienen. Dies erhöhte den Druck zu Fusionen oder gar, wie bei der Bahn, zu Standortverlagerungen in die Metropolen. So etwas wie eine aktive Strukturpolitik gab es kaum noch.
Mit Wehmut denke ich daran zurück, wie belebt meine Heimatstadt Betzdorf bis in die 80-er Jahre hinein war. Heute dominiert der Leerstand. Lebenswert ist die Stadt auf Grund der wunderschönen, waldreichen Umgebung immer noch. Allerdings findet nicht nur in Betzdorf ein beachtlicher Teil der Arbeitnehmer Beschäftigung im Siegerland oder anderen entfernten Regionen. In den Dörfern ist die Entwicklung vielleicht noch bedrückender. Einkaufsmöglichkeiten gibt es kaum noch. Zahlreiche Gastronomiebetriebe haben aufgegeben. „Wachsen oder weichen!“ – dieses urkapitalistische Prinzip gilt eben nicht nur in der Landwirtschaft, die im nördlichen Westerwald kaum noch eine Rolle spielt.
Bei Kleinbetrieben, Einzelhändlern oder Gastronomen kommt aber noch eine weitere Beschwernis dazu. Das ist die „Bürokratie“. Großbetriebe mit eigener Rechtsabteilung können immer neue Auflagen, Regulierungen und Dokumentationspflichten noch verkraften. Für Kleinbetriebe ist diese Art von staatlicher Intervention ein oft existenzgefährdender Faktor. Der Gastronom, der überwiegend mit Teilzeitkräften arbeitet oder der Handwerksbetrieb mit 3 Angestellten ertrinkt in dieser Bürokratieflut, die sich eben auch in der Landwirtschaft bemerkbar macht. „Bürokratieabbau? – Das ich nicht lache, es wird immer schlimmer.“ Dieses Votum hörte ich in den vergangenen Monaten immer wieder von allen möglichen Berufsgruppen. Vor mir sitzt ein Heizungsbauer. Wir trinken zusammen Kaffee und unterhalten uns. Frustriert schildert er mir die Begleiterscheinungen des neuen Heizungsgesetzes. „Jetzt muss ich bei einem Beratungsgespräch über eine neue Heizungsanlage eine umfangreiche Dokumentation vorlegen,“ sagt er. Dieser Handwerker ist bewusst ökologisch orientiert. Er hat auch uns kompetent in Richtung Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit beraten. Kunden hat er vom Einbau einer neuen Öl- bzw. Gasheizung im Blick auf einen dauerhaft steigenden CO²-Preis abgeraten.
Es sind letztlich politisch gesetzte Rahmenbedingungen, die die Verödung der Dörfer und der Stadtzentren mit verursachen. „Wachse oder weiche!“ – dieses Mantra gilt eben nicht nur für die Landwirtschaft, es ist eine Gesetzmäßigkeit eines Kapitalismus, die zudem noch durch politische Rahmenbedingungen verstärkt wird. Angenommen, Sie sind Inhaber einer Bäckerei, einer Metzgerei oder eines Gastronomiebetriebs. Sie wollen sich im fortgeschrittenen Alter zur Ruhe setzen. Aus Ihrer Familie ist jedoch niemand da, der den Betrieb weiterführen könnte. Jetzt eine Betriebsübergabe hinzubekommen, ist fast unmöglich. Denn ein neuer Inhaber würde mit einer Fülle von Investitionsauflagen konfrontiert, die kaum zu stemmen sind. Am Ende steht dann oft die Aufgabe des Betriebes.
Und die Kirche schwimmt mit dem Strom
Spätesten seit Mitte der 2000-er Jahre wurde unsere Kirche von einer Kälteströmung erfasst, die lange vorher bereits in unsere Gesellschaft eingesickert war und die mit der Agenda-Politik der damaligen Bundesregierung ihren Höhepunkt fand. Mit dem EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ begann ein Prozess seltsam hybrider Art, bei dem zugleich eine Ökonomisierung wie auch eine Bürokratisierung der Ev. Kirche vorangetrieben wurde. Ideologisches Zentrum des Impulspapiers ist die sog. „Umkehrung der Begründungspflicht“, die 2004 vom Rat der EKD beschlossen wurde:
„Nicht mehr die lange oder gute Tradition einer Aufgabe ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung. Bei jeder finanziellen Unterstützung durch die EKD muss die Frage überzeugend beantwortet werden können, ob es für die Zukunft des Protestantismus in Deutschland von herausragender Bedeutung sei, diese Aufgabe fortzusetzen. Was würde der evangelischen Kirche fehlen, wenn es diese Aufgabe nicht mehr gäbe? Dieses Kriterium führt in allen Bereichen der EKD zu einer generellen Überprüfung der Aufgaben und Unterstützungen.” Dieser betriebswirtschaftliche Grundsatz stellt die Zukunft des „Unternehmens Kirche“ in den Vordergrund, nicht aber gesellschaftliche Erfordernisse und die Bedürfnisse von Menschen. Kalt entsorgt wird hiermit die Konzeption einer „Kirche für andere“ oder ein an Barmen orientiertes Kirchenverständnis. All dies spielt bestenfalls noch als theologisches Dekor eine Rolle. In Vielem ähneln sich die Prozesse innerhalb der EKD denen im Gesundheitswesen oder der Bahn. Die Priorisierung betriebswirtschaftlicher Überlegungen führt in diesen Bereichen zu destruktiven Entwicklungen zu Lasten der Lebensqualität der Menschen. Sie schädigt unser Gemeinwesen. Dies gilt in jedem Fall für den ländlichen Raum.
Manchmal bin ich einfach nur traurig
Es schmerzt mich, wenn ich wahrnehme, in welcher Verfassung sich die Ev. Kirche im Rheinland heutzutage befindet. Die kreativsten Momente in der Gemeindearbeit unserer Kirche habe ich in den 80-er und 90-er Jahre erlebt. Ich bin in der rheinischen Kirche eindrucksvollen Persönlichkeiten begegnet. Viel habe ich von ihnen gelernt. Sie haben mich geprägt. Allein dies erzeugt ein Gefühl tiefer Verbundenheit mit unserer Kirche. Doch seit etlichen Jahren geht es bergab. Auf niedrigem Niveau sinken die Teilnehmerzahlen an unseren Gottesdiensten. Der Mitgliederschwund nimmt dramatische Ausmaße an. Fusionen führen oft dazu, dass einst lebendiges Gemeindeleben abgewickelt wird. Dies vor Ort zu erleben, tut einfach nur weh. Ich freue mich über meine kleine Kirchengemeinde Hilgenroth. Die erholt sich langsam von der Corona-Delle. Aber bedrückend ist die Aussicht, dass zum Ende des Jahrzehnts hin ihre Eigenständigkeit stark gefährdet ist. Ich frage mich, warum diejenigen, die diese Dinge vorantreiben, kein Gefühl für den Schaden entwickeln können, den sie anrichten.
Unsere Landeskirche – Wo es weh tut!
Der Eindruck drängt sich auf, dass die geschilderten Problemlagen ländlicher Räume schon seit Langem und auch bei der letzten Landessynode kaum wahrgenommen werden. Hin und wieder höre ich zwar, dass in der Arbeit der ständigen Ausschüsse dies Alles durchaus zur Sprache kommen würde. Aber warum findet sich dies im Alltag unserer Kirche kaum wieder? Ich schätze die Situation unserer Kirche aus dieser ländlichen Perspektive heraus als äußerst kritisch ein und wundere mich über den seltsamen Euphemismus, der auch die Landessynode 2024 über weite Strecken hinweg geprägt hat. Das ist nicht die Realität! Folgende Entwicklungen stellen sich aus meiner Sicht auf Dauer ein Riesenproblem dar, dass die Substanz der rheinischen Kirche gefährdet:
Pfarrdienst:
Immer noch wird der Pfarrdienst als Schlüsselberuf der Kirche bezeichnet. In jedem Fall trifft dies auf ländliche Regionen voll und ganz zu. Angesichts dessen ist es schwer nachvollziehbar, dass die Anzahl der Pfarrstellen trotz einem erkennbaren Mangel an theologischem Nachwuchs noch einmal drastisch reduziert werden soll. Unter Umständen soll die Anzahl der Pfarrstellen in den kommenden Jahren auf 700 mehr als halbiert werden.
Bereits jetzt ist die Situation in einigen ländlichen Kirchenkreisen kaum tragbar. Vor gut 20 Jahren verfügte der Kirchenkreis Altenkirchen über 22 Gemeindepfarrstellen. Heute sind es 12,25. Kollegen sind heute zum Teil für 3.500 oder 4.000 Gemeindeglieder verantwortlich – und das in fusionierten oder pfarramtlich verbundenen Kirchengemeinden mit der Fläche einer Stadt wie Koblenz oder Bonn. Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer großen Mehrheit deutlich über 50 sind, sind für immer mehr Aufgaben zuständig. Es erstaunt wenig, dass gerade in den letzten Monaten etliche Kollegen erkrankten, was die Belastung für die (noch) Gesunden natürlich erhöhte. Schon jetzt ist es äußerst schwierig, freie Pfarrstellen zu besetzen. Dauervakanzen sind keine Seltenheit. Bereits die Pfarrstellenverteilungsrichtlinien von 2008 hatte den Webfehler, nicht wirklich zu differenzieren zwischen urbanen und ländlichen Räumen. In meinem Vikarskurs war ich einer der wenigen, die aus ländlichen Regionen kamen. Für die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen wäre es der Horror gewesen, im Westerwald oder in der Eifel Dienst tun zu müssen. Die kamen nämlich überwiegend aus den Großstädten vom Rhein oder an der Ruhr. Die Anzahl der Pensionierungen der Baby-Boomer-Generation wird in den kommenden Jahren noch weiter ansteigen. Es wird auf Grund der geringen Zahlen beim theologischen Nachwuchs immer schwieriger werden, Pfarrstellen zu besetzen. Dies betrifft in besonderer Weise die ländlichen Räume unserer Landeskirche. Wenn man, wie geplant, Pfarrstellen weiter reduzieren will und dabei keine Rücksicht nimmt auf die besonderen Verhältnisse in ländlichen Regionen, wird das System absehbar kollabieren.
Gebäude:
Nun mag man sich streiten, ob sich nun beim Pfarrdienst oder beim Umgang mit kirchlichen Gebäuden die urbane Perspektive destruktiver auf die ländlichen Räume auswirkt. Der Eindruck drängt sich auf, dass der Unterschied, ob man sich in einer Großstadt, in der sich im Abstand von 1 km kirchliche Gebäude befinden, oder in einem Dorf von Gebäuden trennt, kaum wahrgenommen wird. Löblich ist sicherlich, dass die Landeskirche die energetische Sanierung von Gebäuden vorantreiben will. Zugleich wird diese Zielsetzung verbunden mit der Absicht, den kirchlichen Gebäudebestand drastisch zu reduzieren. Seit einiger Zeit gibt es eine Art Investitionsverbot welches gilt, bis der Kirchenkreis ein Gebäudekonzeption erstellt hat. Investiert werden soll lediglich in Gebäude, die man langfristig halten will. Dies hat nun mit Klimaschutz gar nichts mehr zu tun und es ist sogar betriebswirtschaftlich grober Unfug. Im Zweifel bringt man dann sanierungsbedürftige Immobilien auf den Markt, für die kaum ein guter Preis zu erzielen sein wird. Dies gilt in jedem Fall für ländliche Räume.
Finanzen:
Die Seriosität der Finanzverantwortlichen der EKiR hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Das ist zu begrüßen. Faktisch hat sich die Prognose kontinuierlich sinkender Kirchensteuereinnahmen, die über viele Jahre hinweg einen zutiefst unseriösen Finanzdiskurs prägte, nicht bestätigt. Bis auf wenige Ausnahmen gab es einen beständigen Zuwachs an Finanzkraft.
Nun fällt man offenbar in die alte Unart zurück. Tatsächlich gingen die Kirchensteuereinnahmen auf Grund der schwachen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland zuletzt zurück. Die Corona-Pandemie, der Ukrainer-Krieg aber auch die Klimakrise zeigten Wirkung. Nun aber von einem „Kipppunkt“ zu sprechen und damit erneut dauerhaft sinkende Kirchensteuereinnahmen zu prognostizieren, ist schlicht nicht sachgemäß. Von „Kipppunkten“ ist im Zusammenhang mit der Klimakrise die Rede und steht für irreversible Entwicklungen wie den möglichen Zusammenbruch des Golfstroms, was für Mitteleuropa klimatische Verhältnisse wie in Sibirien bedeuten würde. Bezogen auf die Entwicklung der Finanzkraft der Ev. Kirche würde dies eine Entkopplung von staatlichen Steuereinnahmen bedeuten – und zwar dauerhaft. Aller Voraussicht nach wird dies bis auf Weiteres nicht geschehen – ebenso wenig, wie der Finanzalarmismus der Vergangenheit eine belastbare Grundlage hatte.
Es gibt allerdings ein Risiko. Und das ist der Mitgliederschwund, der sich zuletzt noch einmal erheblich gesteigert hat. Vor allem, wenn einkommensstarke Mitglieder aus ihrer Kirche austreten, hat dies Auswirkungen auf ihre Finanzkraft.
Austrittsgründe
Ich besuche einen Bürger unseres Dorfes, der mich um ein Gespräch gebeten hat. Er verkündet mir, dass er vor einigen Wochen aus der Kirche ausgetreten ist. Die Begründung hierfür ist sein Ärger über die pfarramtliche Verbindung mit der Nachbarkirchengemeinde. „Seit der Reformationszeit hat die Kirchengemeinde Hilgenroth stets einen eigenen Pfarrer gehabt, und jetzt soll das plötzlich nicht mehr gehen?“ Ich versuche, zu erklären. Ich selbst habe diese Lösung vorangetrieben, da sie mir unter den jetzigen Rahmenbedingungen die beste zu sein schien. Zumal mein Nachfolger ein Freund und Kollege ist, mit dem ich seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeite und dessen Pflichtbewusstsein und Engagement ich außerordentlich schätze. Das überzeugt meinen Gesprächspartner allerdings nicht. „Seit vielen Jahren zahle ich unter dem Strich immer mehr Kirchensteuer. Und die Kirche baut ihre Leistungen vor Ort immer mehr ab.“ „Alleine mit meinen Kirchensteuerbeiträgen könnte man doch eine Pfarrstelle finanzieren.“ Ich nenne ihm die tatsächlichen Kosten einer Pfarrstelle. Er sieht ein, dass da noch ein wenig mehr kommen muss als sein eigener Finanzbeitrag.
Immerhin spendet er unserem Förderverein eine beachtliche Summe. Seit unserem Gespräch war er mehrfach Teilnehmer an unseren Gottesdiensten. Würde er nach seinem Glauben gefragt, wäre seine Antwort vermutlich: „Ich bin evangelischer Christ.“
Vor einiger Zeit hatte ich den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag gemacht, dass in dem Arbeitszimmer jedes Oberkirchenrats und jeder Superintendentin ein Schild mit der Aufschrift angebracht werden sollte „du sollst deine Mitglieder nicht frustrieren“. Denn noch immer werden „harte Entscheidungen“ und „schmerzliche Abschiede“ angekündigt und umgesetzt mit der Folge, dass sich die für die Kirche letztlich schädliche Frustration einstellt. Sollte die Gebäudestrategie der rheinischen Kirche, die mit Klimaschutz herzlich wenig zu tun hat, tatsächlich umgesetzt werden, wären kirchliche Gebäude gerade in dörflichen Gemeinden gefährdet.
Sollte eine Kreissynode tatsächlich eine Gebäudekonzeption beschließen, die die Kirchengemeinde Hilgenroth nötigt, sich vom Gemeindehaus in Eichelhardt zu trennen, könnte dies nicht anders als eine Entsolidarisierung verstanden werden. Zuviel hat dieses Dorf, dass für viele andere Dörfer steht, bereits in der Vergangenheit verloren. Sollte sich die evangelische Kirche nun auch noch von diesem wichtigen Begegnungsraum verabschieden wollen, dürfte dies deutlich ansteigende Kirchenaustritte zur Folge haben.
Hinzu kommt die jetzt schon äußerst prekäre Situation im Pfarrdienst. Wenn Kolleginnen und Kollegen in beachtlicher Zahl erkranken – z.B. an Gürtelrose, Schlaganfall oder Burnout – dürfte der Gedanke nicht ferne liegen, dass dies auf Überlastung zurückzuführen ist. Wenn auf der anderen Seite bei der Beerdigung, der Trauung oder dem Hochzeitsjubiläum kein Pfarrer in einem angemessenen Zeitraum zur Verfügung steht, erzeugt dies Frustration. Die Zahl der Beerdigungsrednerinnen und Redner ist in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen. Und sie werden zunehmend in Anspruch genommen. Denn sie nehmen sich Zeit und machen ihre Sache überwiegend recht gut. Auch Pastoren von freien Gemeinden, ca. 8 gibt es mittlerweile im Raum Altenkirchen, kommen vereinzelt zum Zuge. Bei Hochzeitsfeiern gibt man sich zufrieden mit einem Hochzeitsplaner, der ebenfalls für eine stimmungsvolle Feier sorgen kann. Kirche macht sich so überflüssig. Man darf sich nicht wundern, wenn dies Kirchenaustritte zur Folge hat, die irgendwann schmerzhaft finanzrelevant werden.
Aufgabenkritik und Fehleranalyse
Auch auf der Landessynode vom Januar 24 wurde einmal mehr die Forderung nach einer umfangreichen Aufgabenkritik erhoben. Nun ist das nichts Neues. Spätestens seit 2005/2006 ist unsere Landeskirche erheblichen Strukturveränderungen ausgesetzt, bei denen das Anliegen der Aufgabenkritik eine zentrale Rolle spielte. Wäre es nach einer so langen Zeit einer nicht unbedingt positiven Entwicklung des kirchlichen Lebens dringend notwendig, einmal Bilanz zu ziehen, bevor man auf den alten Pfaden voranschreitet? Was hat gut funktioniert? Wo haben sich Erwartungen nicht erfüllt? An welcher Stelle haben Strukturveränderungen und Umbaumaßnahmen unsere Kirche möglicherweise sogar geschwächt und Kirchenmitglieder frustriert? Insgesamt: was ist falsch gelaufen? Fragen dieser Art müssten doch vernünftigerweise einer weiteren Aufgabe von Einrichtungen und Arbeitsfeldern vorangehen! Möglicherweise käme man dann sogar zu dem Ergebnis, dass Aufgabenfelder gestärkt werden, vielleicht sogar neue Aufgaben wahrgenommen werden müssten.
Hat jemals eine tiefergehende Analyse stattgefunden, ob zentrale Umbauprojekte den ursprünglich formulierten Zielen gerecht geworden sind und sich gedeihlich auf das kirchliche Leben ausgewirkt haben? Bei dem nicht mehr ganz so neuen kirchlichen Finanzwesen (NKF) z.B. wäre ein kritischer Blick geboten. Altpräses Nikolaus Schneider erweckte einst den Eindruck, mit Hilfe des NKF würden Mitteln eingespart. Will man bestreiten, dass eben durch die Umstellung der Finanzverwaltung im Gegenteil die Kosten erheblich gestiegen sind? Hat sich das in irgendeiner Weise auf das kirchliche Leben und insbesondere für die Mitglieder unserer Kirche positiv ausgewirkt?
Hat es sich bewährt, den Qualitätsbegriff derart in den Mittelpunkt zu stellen? Ist nicht beziehungsorientiertes Arbeiten von deutlich größerer Relevanz und auch theologisch begründbarer?
Ist es wirklich hilfreich, dem Kirchenkreis früherer Kompetenzen der Kirchengemeinden zuzuordnen? Ich denke z.B. an Personalplanung oder mittlerweile auch Gebäudemanagement?
Dies sind nur einige Beispiele. Hier kann ich nicht wirklich erkennen, dass uns dies als Kirche in irgendeiner Weise vorangebracht hätte. Für ländliche Regionen nehme ich eher das Gegenteil wahr.
Wenn man dagegen eine Aufgabenkritik ohne eine kritische Bilanz bisheriger Maßnahmen durchführt, besteht die Gefahr, kirchliches Leben nachhaltig zu schädigen. Die hohen Austrittszahlen sind ein Indiz dafür, dass dies bereits in der Vergangenheit der Fall war.
Gegenwartsfähig!
Ich gebe gerne zu, wenn ich höre, dass wir als Kirche „zukunftsfähig“ werden müssten, bekomme ich Magengrimmen, zumal dieser Begriff nahezu synonym mit „wettbewerbsfähig“ verwendet wird. Es geht hierbei letztlich um Finanzgrößen und oft dazu um solche, die auf einer höchst fragwürdigen Prognostik beruhen. Scheinbare „Effizienzgewinne“ oder „Synergieeffekte“ hinterlassen erkennbar keine zufriedenen, sondern oft genug frustrierte Gemeindeglieder.
Ich wünsche mir eine Kirche, die die Herausforderungen der Gegenwart mutig annimmt und die in einer Zeit, in der sich gewaltige Krisen übereinanderlegen, verlässliche Stütze und Begleiterin ihrer Mitglieder ist.
Nun hat die Kirche Jesu Christi bereits in der Vergangenheit Phasen durchlebt und durchlitten, die sowohl ihre Organisation wie auch die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft massiv beschädigt hat. Es gibt sie immer noch und sie wird, davon bin ich zutiefst überzeugt, auch diese schwierige Phase überstehen.
Hans-Jürgen Volk