Protest auf der Landessynode 2012:

„Reformen brauchen Einmütigkeit – Widerspruch nicht übergehen!“
Ein Jahr konstruktiver Widerspruch – und Themen, die bleiben


Ein seltener Anblick – nicht nur wegen des Musikjahres im Rahmen der Reformationsdekade: 60 bis 70 Menschen aus verschiedenen Gemeinden und Kirchenkreisen unserer Landeskirche empfangen die Synodalen mit einem Lied:

„Das Rheinische war nie hierarchisch!
Das Konsistoriale passt hier nicht!
Das Selbstbewusstsein der Gemeinden
prägt unsre liebe Kirche einmalig.“


Viele hatten eine solche Konsistorialtendenz in den ursprünglichen Vorlagen gesehen und sehen diese Tendenz jetzt auch in den ver-schiedenen Einzelentscheidungen der Synode in Bad Neuenahr. Wer die Entwürfe zu den verschiedenen Reformvorhaben aufmerksam liest erkennt ein anderes Bild von Kirche: Leitung wird in unserer Kirche immer technokratischer gedacht und organisiert. Viele Entscheidungen werden nur noch Experten zugetraut. Ehrenamtliche müssen von ihnen kontrolliert werden, damit Kirche gelingt. Sie sollen von Hauptamtlichen ausgebildet werden, um sie möglichst zu ersetzen. Effizienz wird wie anderswo in unserer Gesellschaft in Vergleichbarkeit, Objektivierung, Einsparung, Vorgabe von Zielen, Controlling etc. gesehen und nicht in der Eigenheit, Verbundenheit, Motivation und unplanbaren Kombination von Kräften und Gaben vor Ort.

Wir haben gesehen: Leitung geschieht durch gesetzliche Festlegungen und nicht durch Beratungs- und Entwicklungsprozesse. Die Grundlage besteht aus externer Expertise von Beraterfirmen und nicht aus dem Wissen von Gemeinden, das gegenseitig fruchtbar gemacht wird.

Im gleichen Maße wie Entscheidungsbefugnisse über Verwaltung und Personal ausgelagert werden, schrumpft das Bild von Gemeinde zu einer Art Außenstelle für Seelsorge und Verkündigung, die möglichst viele Menschen für Kirche gewinnen soll.

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Zur Erinnerung: Wie hatte der Protest angefangen? Im Juni 2011 wurden endlich die Beratungsvorlagen veröffentlicht und das Landeskirchenamt lud zu Regionalkonferenzen ein. Da in vielen Gemeinden und Kirchenkreisen darüber noch gar nicht weiter diskutiert wurde, versammelten sich über 130 Presbyter/innen, Mitarbeitende, Pfarrer/innen aus fast allen Teilen unserer Landeskirche in Düren, um die Reformvorhaben zu diskutieren. Prof. Dr. Isolde Karle referierte und kritisierte u.a. den „Reformstress“, der die Kirche in Trab halte und die Gemeinden von ihrer eigentlichen Arbeit abhalte. Das war der Beginn einer breiten kritischen und konstruktiven Bewegung in vielen Gemeinden, die die geplanten Reformen überhaupt erst in den Gemeinden zum Thema machte.

Auf der Synode im Januar waren nun überarbeitete Vorlagen zur Verwaltungsstrukturreform und zur Kirchlichen Personalplanung zu beschließen. Etwa 60 bis 70 Verwaltungsmitarbeitende, Presbyter/innen und Pfar-rer/innen hatten sich auf den Weg gemacht, um die Synodalen bei den Diskussionen zu begleiten und eine kritische Öffentlichkeit herzustellen. Wir hatten vom Dorint-Hotel einen Stand zur Verfügung gestellt bekommen (all denen herzlichen Dank, die in der Synodenwoche den Stand zeitweilig betreut haben!), wir konnten ein Transparent anbringen, das unsere Forderungen – den Widerspruch nicht zu übergehen – deutlich sichtbar machte und waren auch kirchenmusikalisch präsent – schon die Reformation begeisterte durch Umdichtung vertrauter ‚Schlager‘. So empfingen wir die Synodalen auf dem Weg zum Pausenkaffee mit einem Lied zur Melodie ‚Dir, dir, o Höchster will ich singen‘:

3. Das Rheinische war nie hierarchisch!
Dat Konsistoriale passt hier nicht!
Das Selbstbewusstsein der Gemeinden
prägt unsre liebe Kirche einmalig.
Wer uns die Möglichkeiten jetzt entreißt,
gibt Prägung und Gestalt der EKiR preis.

4. Die Mitarbeiter haben Rückhalt,
die Stellen müssen abgesichert sein,
ob Jugend, Flüchtling oder Schuldner,
Begleitung darf nicht hinten runterfall’n.
Regionen finden ihre eigne Form,
wozu braucht’s da ‚ne Landeskirchennorm.


Die Synode stand insgesamt unter dem Eindruck des bbz-Skandals, und so rückten selbst diese weitreichenden Reformvorhaben in den Hintergrund. Dies führte auch dazu, dass die Zeitplanung ziemlich aus den Fugen geriet und teilweise bis nach 23 Uhr getagt wurde. Die Reformvorhaben wurden hauptsächlich in den Ausschüssen beraten, und letztlich waren die Beschlüsse „einmütig“: Die Kirchliche Personalplanung wurde bei zwei Gegenstimmen und elf Enthaltungen mit großer Mehrheit beschlossen, die Verwaltungsstrukturreform mit einer Gegenstimme und sechs Enthaltungen.

Das lässt fragen: Was ist von dem großen Protest und der scheinbaren Gegenbewegung – wie sie doch auch auf den Regionalkonferenzen in Essen, Krefeld und Köln zum Ausdruck kamen – geworden? 14 Kreissynoden hatten zur Verwaltungsstrukturreform Beschlüsse gefasst, die meisten von ihnen forderten ein Proponendum, d.h. einen Aufschub der Entscheidung um mindestens ein Jahr, um in dieser Zeit die Konsequenzen für die Kirchenkreise und Gemeinden diskutieren zu können. In nur neun Kirchenkreisen waren entsprechende Anträge – z.T. knapp und nur unter äußerstem Einsatz der Superintendenten – abgelehnt worden. Keine einzige Kreissynode hatte sich vorbehaltlos hinter die Beschlussvorlagen gestellt.

‚Einmütigkeit‘ wurde letztlich dadurch erreicht, dass beide Reformen abgespeckt oder Ausnahmen eingearbeitet wurden. In der Kirchlichen Personalplanung wurden schon vor der Synode einzelne Vorhaben wie etwa die ‚Korridore‘ gestrichen. Insgesamt wurde an einzelnen Stellen Kritik berücksichtigt und so war die Debatte schon im Vorfeld weniger konfrontativ. OKR Rekowski formulierte in seiner Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Synode:

„Ich sage das auch selbstkritisch: Am Beginn meiner Amtszeit als Superintendent habe ich darunter gelitten, dass in unserer Kirche das Tempo von Veränderungsprozessen stets von den Bremsern und nicht von den Tempomachern bestimmt wird. Und insofern hatte ich durchaus nach Wegen gesucht, wie man Re-formen wirksam durchsetzen kann. Eine Alternative zum einander Wahrnehmen und der Suche nach konsensorientierten Lösungen habe ich nicht gefunden … Bei uns gilt inzwischen oft: nach der Reform ist vor der Reform. Ob man schon von „Reformstress“ sprechen muss (wie Isolde Karle) oder (wie Ilka Werner) von der großen Zahl der Reformprozesse spricht, die kirchenleitende Gremien und Personen überfordern, richtig ist: Aus der Kirche der Reformation ist vielfach die institutionalisierte Kirchenreform geworden. Auch ich habe daran mitgewirkt und wirke daran mit – in den nächsten Tagen tun wir das gemeinsam.“

In der Verwaltungsstrukturreform wurde erst im Dezember mit den endgültigen Synodalunterlagen die Strategie der Synodenleitung deutlich: Ausnahmen sollten den Anlass für den Widerspruch der kritischen Kirchenkreise ins Leere laufen lassen. So können die Verwaltungsbereiche von den Kirchenkreisgrenzen abweichen, wenn die Kreissynoden dies bei der Kirchenleitung beantragen und der Finanzausschuss und der Innerkirchliche Ausschuss dem zustimmen. Bestimmte Kriterien regeln, wann die Ausnahmen möglich sind. Die Hürden für Ausnahmen sind extrem hoch.

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Können wir damit nun zufrieden sein? Sind diese Veränderungen ein ‚Erfolg‘? Das wäre wohl euphemistisch; denn die grundsätzliche Kritik konnte nicht mehr vermittelt werden: Welches Gewicht wird Verwaltung zukünftig – auch finanziell – bekommen? Oder: Ist die vorgesehene Personalplanung überhaupt ein taugliches Mittel? In der Plenumsdiskussion war ein immer wiederkehrendes Hauptargument: Unsere Mitarbeitenden brauchen diesen Beschluss als ein deutliches Signal, dass sie und ein Personalmix gewollt sind – und nicht nur eine Pfarrer/innen-Kirche oder nur noch unzähligen 40-60-Prozent-Stellen. Das hätten wir auch unterschreiben können – aber dieser Beschluss wird sein Ziel leider nicht erreichen (abgesehen davon, dass diese Debatte viel zu spät geführt wurde). Viel bedeutsamer ist die Wahrnehmung von partizipativer Leitungsverantwortung der Superintendenten und Kreissynodalvorstände. Aber gerade diese klagten, dass sie diese Beschlüsse bräuchten, um in ihrem Kirchenkreis handeln zu können …

Kurzum: Unsere beiden Studientage, die Kommunikation und Einmischung das ganze Jahr hindurch, unsere Präsenz auf den Regionalkonferenzen haben dafür gesorgt, dass das Thema früher und intensiver in Presbyterien und auf Kreissynoden diskutiert wurde.
Wir müssen aber auch selbstkritisch fragen, ob und wie wir eigentlich unsere Synoden und die Synodalen begleiten, müssen feststelllen, dass wir in den Gemeinden immer wieder erst dann die Brisanz von Vorlagen erkennen, wenn die Synode schon Grundsatzbeschlüsse gefasst hat, die die Gestalt unserer Kirche verändern werden. Einer dieser Beschlüsse in diesem Jahr ist z.B. die Ermöglichung des hauptamtlichen Superintendenten. Unsere Kirche wird dadurch anders werden – nicht zuletzt auch im Miteinander der Superintendenten auf ihren Konferenzen – wenn einige ihren Aufgaben im Hauptamt nachgehen und andere weiter ihr Gemeindepfarramt wahrnehmen.

Viele Themen bleiben, die unseren kritischen Einspruch brauchen:
- Die Arbeitsgruppe, die ein Pfarrbild erarbeitet – es sei nur auf den „Gottesdienstzufriedenheitsindex“ und die Erfassung des „pastoralen Dienstes in spezifischen Kennzahlen“ hingewiesen, wovon Präses Schneider und LKR Lehnert in ihrem Büchlein „Berufen – wozu?“ schreiben (S. 115).
- Immer konsequenter wird alles, was unsere Kirche tut, dem Leitbild ‚Missionarisch Volkskirche sein‘ unterworfen – ist dies das einzige Leitbild, kann es daneben nichts anderes mehr geben?
- Sind in den Ausschüssen unserer Landeskirche tatsächlich alle Perspektiven vertreten? Wie kann es sein, dass diese Ausschüsse Vorlagen erarbeiten, die den Einspruch von fast der Hälfte aller Kreissynoden hervor-rufen?
- Ist Diakonie tatsächlich besser oder besser zu organisieren, wenn sie nicht mit der Gemeindearbeit verknüpft wird sondern organisatorisch separiert ist?

Diese und andere Fragen sowie die grundsätzliche Tendenz hinter den Beschlüssen werden uns weiter beschäftigen müssen und unsere Wachsamkeit brauchen, um die Dynamik, die den gefassten Beschlüssen innewohnt aufzuhalten und zu begrenzen. Wir werden also in Kontakt bleiben!


Herzliche Grüße und die besten Wünsche für die weitere Arbeit,
Ihr Dirk Chr. Siedler

 


Bilder: ekir.de und privat

 

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