Wort und Wirklichkeit

Anmerkungen zum Zustand der Ev. Kirche im Rheinland
Von Hans-Jürgen Volk


3. These der Barmer Theologischen Erklärung

Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist. (Eph. 4, l5. 16)
Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.


Die Landessynode 2018 der Ev. Kirche im Rheinland liegt nun bereits eine Weile zurück, die Landessynode 2019 dürfte in wesentlichen Punkten schon vorbereitet sein. Jahr für Jahr reisen die Synodalen mit schwerem Gepäck zu der jährlich in Bad Neuenahr stattfindenden Landessynode. Sie tragen neben den üblichen Utensilien und Kleidungsstücken, die für eine Tagung von knapp einer Woche benötigt werden, viele hundert Seiten umfangreiche und mehrere Kilo schwere Vorlagen und Dokumente bei sich. Erhalten haben sie das schwere Paket Anfang bis Mitte Dezember, also in der Adventszeit. Das ist wenig Zeit für eine solide Vorbereitung angesichts der vielen Texte und Zahlenwerke. Zudem feiern auch rheinische Synodale Weihnachten und Sylvester. Die Theologen unter ihnen haben entsprechend der Kirchenjahreszeit zahlreiche vorbereitungsintensive Gottesdienste und Veranstaltung hinter sich. Außer der Minderheit derer, die in Ausschüssen und Gremien die zahlreichen Vorlagen erarbeitet haben, dürfte die meisten Synodalen bei ihrem Abstimmungsverhalten den Experten vertrauen.

"Ohne Vertrauen geht Leitung nicht!" Dies ist einer der Kernsätze, die Manfred Rekowski bei seiner Bewerbungsrede um das Präsesamt im Rahmen der Landessynode 2013 äußerte. Damals gab es eine profunde Vertrauenskrise, die die EKiR belastete. Ausgelöst wurde sie durch den Finanzskandal um das Beihilfe- und Bezügezentrum Bad Dürkheim. Durch ein abenteuerliches Geschäftsmodell und zuletzt durch ein verzweifelt-naives Finanzgebaren waren Millionenbeträge unter kirchlicher Aufsicht verbrannt worden. "Ein weiter so geht nicht!" - So hörte man es damals nicht nur von Rekowski.

Wenn man verschiedene Dokumente der Landessynode 2018 wahrnimmt, beschleicht einen ein merkwürdiges, durchaus von Zustimmung begleitetes Gefühl von Déjà-vu. Dies trifft vor allem für die Ergebnisse der Arbeitsgruppe "leichtes Gepäck" zu. Das Ansinnen von Rekowski, Kirchenkreisen und Gemeinden mehr zuzutrauen, sich gegen Einheitslösungen zu wenden und für Korridorlösungen zu plädieren, wird hier konkretisiert. Intelligent zu deregulieren, sparsam mit neuen Rechtsetzungen umzugehen, Verwaltungsabläufe zu vereinfachen und insgesamt mehr Freiraum zu schaffen für kreative Lösungen vor Ort sind begrüßenswerte Ziele. Der schon seit längerem in der EKiR diskutierte Ansatz, nach Maßgabe einer liberalen Ordnungspolitik einen großzügigen rechtlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich das operative Geschäft vor Ort kreativ entwickeln kann, wird hier in Umrissen sichtbar. Zu begrüßen ist auch das sog. "Erprobungsgesetz", dass in engem Zusammenhang mit dem Ergebnissen der AG "leichtes Gepäck" steht. Hier sollen für Kirchenkreise und Gemeinden Freiräume geschaffen werden, jenseits (noch) bestehender Rechtssetzungen nach Genehmigung durch die Kirchenleitung eigene Lösungen z.B. im Bereich der Verwaltung zu entwickeln. Zwischen 2013 und 2018 liegen allerdings 5 Jahre. Und gute Texte hat die rheinische Kirche auch in der Vergangenheit produziert. Bei aller Neigung, der hier sichtbar werden Denkweise zuzustimmen, blockiert die Wirklichkeit unserer Kirche aufkommende Hoffnung oder gar Euphorie.

Vertrauensfragen

Vielleicht haben wir uns zulange mit Texten beschäftigt. Vielleicht wäre es notwendig gewesen, deutlicher und konkreter zu formulieren, wo in den vergangenen Jahren im Alltag unserer Kirche Fehlentwicklungen aufgetreten sind. Gewiss wäre es sinnvoll gewesen, sich intensiver mit den Methoden z.B. des "Change-Managements" zu befassen, die das Wort strukturell entwerten und die Neigung zu einem unkirchlichen Leitungshandeln befördern. Ein Blick auf die Arbeit der AG "leichtes Gepäck" ist dennoch sinnvoll, denn diese bewertet den aktuellen Zustand der EKiR, die durch zahlreiche Umbauprojekte gebeutelt ist, als unbefriedigend und verbesserungsbedürftig. Im letzten Punkt 7. werden die wichtigsten Anliegen der AG wie folgt zusammengefasst:

"Zum Schluss sei noch einmal zusammengefasst hervorgehoben, dass es für eine Kirche mit leichtem Gepäck eines Mentalitätswandels bedarf:

Unterwegs mit Leichtem Gepäck bedeutet:

- das Bewusstsein dafür, dass die Evangelische Kirche im Rheinland eine Gemeinde auf drei Ebenen ist,

- intensiver auf das hören, was die Basis denkt, sagt, braucht,

- sich von der Idee zu verabschieden, als könne man alle Risiken durch Gesetze und Vorschriften ausschließen, und alles unter Kontrolle halten,

- eine größere Entscheidungsfreiheit vor Ort und die Bereitschaft Verantwortung für das je eigene Entscheiden zu übernehmen,

- Hilfe und Unterstützung anbieten und einholen,

- Kompetenz aufbauen, Verantwortungsübernahme fördern und gegenseitiges Vertrauen bilden,

- das Zutrauen in die Fähigkeit handelnder Personen im Blick des Landeskirchenamtes auf die Kirchenkreise und die Gemeinden, als auch im Blick der Gemeinden auf das Landeskirchenamt und den Kirchenkreis,

- weniger Kontrolle wollen, damit höhere Risiken zulassen und Risiken konstruktiv einschätzen und bewerten,

- Kommunikation und Information."

Dies klingt gut. Tatsächlich kann man seit einiger Zeit von Seiten der Kirchenleitung einen wohlwollenden Pragmatismus feststellen, der darauf abzielt, den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort gerechter zu werden. Deutlich erkennbar ist ebenfalls eine erstaunliche Zurückhaltung bei der Verabschiedung neuer Rechtssetzungen und Verordnungen. Hier gibt es eine zumindest in Umrissen erkennbare Übereinstimmung von Reden und Handeln, von Wort und Wirklichkeit. Es stellen sich allerdings zwei Fragen:

1. Wer ist hier eigentlich angesprochen? Die Art der Befragung, die der Erarbeitung des Papiers der AG voranging sowie die bisherige Praxis der Landeskirche legen nahe, dass es vor allem um erweiterte Handlungsspielräume für die Kirchenkreise gehen soll - und zwar zu Lasten der Gemeinden und der Akteure vor Ort!

2. Wichtiger noch ist die Frage, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Dies kann gelingen, wenn es zu einer größeren Übereinstimmung von Reden und Handeln kommt. Vertrauen wächst, wenn kirchenleitendes Handeln sich tatsächlich für die Arbeit vor Ort als hilfreich erweist und dies von den Trägern dieser Arbeit auch so empfunden wird.

Das Papier beschreibt wohltuend kritisch Mängel bei der Umsetzung verschiedener Umbaumaßnahmen, denen unsere Kirche seit mehr als 10 Jahren ausgesetzt ist. NKF, Verwaltungsstrukturreform oder die Vorgaben zur Personalplanung - um nur die wichtigsten Baustellen zu nennen - gingen mit einer Flut neuer Paragraphen einher, die die Arbeit vor Ort in bisher nie dagewesener Weise reguliert und verändert haben. Spielräume wurden erheblich eingeschränkt. Sowohl die Äußerungen von Präses Rekowski wie auch das Papier der Arbeitsgruppe geben somit vor, das Gegenteil von dem anzustreben, was in der Vergangenheit rechtlich verbindlich auf den Weg gebracht wurde. Oder ist auch dies ein Missverständnis, hält man in Wirklichkeit an den einmal getroffenen Umbauplänen fest und strebt lediglich kosmetische Korrekturen an? Das reicht nicht! Wenn man auf dem Weg in die falsche Richtung lediglich das Tempo verringert, landet man am Ende dennoch in der Sackgasse.

Wunde Punkte

Respekt ist denjenigen zu zollen, die in der EKiR mehr oder minder intensiv bemüht sind, gegenzusteuern. Das ist mühsam genug. Ein konsequenter Kurswechsel wäre allerdings nötig, denn die seit 2006 stattfindenden Umbauprozesse haben Geburtsfehler, die sich bis heute negativ auf das kirchliche Leben und die Rolle der Kirche in unserer Gesellschaft auswirken.

Es ist kein Zufall, dass die kirchliche Reformagenda nahezu zeitgleich mit der Agenda 2010 auf den Weg gebracht wurde. Auch die Methoden der Umsetzung ähneln sich.

Top-Down-Strategie: Es ist nicht zu bestreiten, dass die entscheidenden Vorgaben für die Umbauagenda von der EKD ausging. Eine sog. "Perspektivkommission" unter Vorsitz des McKinsey- Mannes Barrenstein erarbeitete das Impulspapier "Kirche der Freiheit", dass Mitte 2006 veröffentlicht wurde. Das Bemerkenswerte an dieser Kommission war, dass sie überwiegend aus Vertretern der Finanz- und Beraterindustrie sowie aus Kirchenfunktionären bestand. Die akademische Theologie war kaum, die kirchliche Basis gar nicht vertreten. Die Inhalte des Impulspapiers sind vielfach kritisiert und in Frage gestellt worden. Entscheidender noch ist die brachiale Methodik, mit der zentrale Umbauprojekte wie das Neue kirchliche Finanzwesen (NKF), Verwaltungsstrukturreformen, Fusionen oder die Stärkung der Kirchenkreisebene als Instrument zur Umsetzung des Agenda-Programms gegenüber der kirchlichen Basis durchgesetzt wurden. Es gab immer wieder Bestrebungen, gesteuert vor allem durch intransparente EKD-Gremien wie die Kirchenkonferenz oder den Finanzbeirat, die evangelischen Landeskirchen im Gleichschritt marschieren zu lassen. Das dies ursprünglich einmal stark basisorientierte Landeskirchen wie die Ev. Kirche im Rheinland im Kern beschädigte, kann man heute vielerorts wahrnehmen.

Finanzalarmismus als fragwürdige Kommunikationsstrategie: Der argumentative Ausgangspunkt für die nachfolgenden Umbau- und Rückbaumaßnahmen, die der Landessynode im Januar 2006 zum ersten Mal zur Kenntnis gebracht wurde, war die sog. "einfache Formel". Es wurde behauptet, dass sich auf Grund des Mitgliederrückgangs und des demographischen Wandels die Mitgliederzahl der EKiR ausgehend vom Basisjahr 2002 bis 2030 um ein Drittel reduzieren und die Finanzkraft im gleichen Zeitraum halbieren würde. Man bediente sich hierbei nahezu wortgleich der Argumentationsmuster, mit denen die Agenda-"Reformer" die Demontage der sozialen Sicherungssysteme zugunsten einer privaten kapitalgedeckten Vorsorge insbesondere bei den Renten betrieben. Soziale Probleme wurden hierdurch verschärft. Drohende Altersarmut für eine Vielzahl abhängig Beschäftigter ist eines der dringendsten Probleme, vor denen ein wirtschaftlich prosperierendes Land steht. Tatsache ist, dass diese "einfache Formel" nie wirklich plausibel war und durch die Finanzentwicklung der nachfolgenden Jahre bis heute widerlegt ist. Der Tiefpunkt der kirchlichen Einnahmen lag im Haushaltsjahr 2005 bei einem Netto-Kirchensteueraufkommen von knapp 500 Mio. €, für 2018 plant die EKiR mit einem Betrag von 720 Mio, für 2019 geht man sogar von einem Betrag von 744 Mio. € aus. Noch in seinem Finanzbericht an die Synode von Januar 2017 behauptete der für die Finanzen zuständige Oberkirchenrat Bernd Baucks, 2018 würden sich die Auswirkungen des demographischen Wandels bei den kirchlichen Einnahmen bemerkbar machen. Genauso solche Ansagen, denen sich leider auch sein Vorgänger Georg Immel immer wieder bediente, kosten letztlich Vertrauen auch bei Menschen, die keine Finanzexperten sind. Gewiss gibt es Risiken, die haben allerdings mit dem Gebaren der aktuellen US-Administration und ihren Strafzöllen zu tun. Ansonsten ähnelt die Finanzentwicklung durchaus der in den 80-er Jahren. Damals war die Finanzsituation der Gemeinden allerdings deutlich besser. Es gab noch nicht jenen durch NKF und Verwaltungsstrukturreform aufgeblähten Verwaltungsapparat. Die Mehreinnahmen sind zu großen Teil hierfür verwendet worden. Wort und Wirklichkeit klaffen jedenfalls bei der Finanzfrage am deutlichsten auseinander. Wir brauchen dringend wieder einen rationalen Finanzdiskurs - frei von einfachen, aber falschen Formeln - wenn Vertrauen zurückgewonnen werden soll! Fragwürdige politisch motivierte Kommunikationsstrategien zerstören auf Dauer Vertrauen!

Eine Sternstunde der EKiR und eine verpasste Chance: Ein Tiefpunkt der EKiR in den vergangenen Jahren war die bereits erwähnte Affäre um das kircheneigene Beihilfe- und Bezügezentrum Bad Dürkheim. Die Landessynode reagierte darauf mit der Berufung der sog. "Höppner-Kommission". Im Januar 2013 legte diese ein hervorragendes Papier vor. Präzise wurde die Chronologie der Ereignisse beschrieben, die zu der Affäre geführt hatten. Die strukturellen Defizite im landeskirchlichen Organisationsapparat zeigte man auf und legte Änderungsvorschläge vor.
Ein wichtiger Kerngedanke des Papiers findet sich unter 3.1.4: "Geld ist also nicht nur ein Mittel, um den Verkündigungsauftrag zu erfüllen. Die Art, wie die Kirche mit ihrem Geld umgeht, ist selbst ein Teil glaubwürdiger Verkündigung. Wort und Tat müssen im Einklang miteinander stehen." Es werden klare Zuständigkeiten vermisst. Die Frage "wer trägt für was Verantwortung", müsse geklärt sein. Ausgehend von einer biblisch-theologischen Beschreibung der menschlichen Natur, die in einer Kirche genauso wirksam ist wie jenseits der Kirchenmauern, bringt das Papier den Gedanken der "Gewaltenteilung" unter 3.1.8 ins Spiel:  "Es mag theologische und historische Gründe geben, dem Prinzip der Gewaltenteilung in der Ordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland nicht den Platz einzuräumen, den andere Kirchenordnungen und Ordnungen im öffentlichen Leben (etwa im Verhältnis von Parlament und Regierung) haben. Je intensiver kirchenleitendes Handeln mit wirtschaftlichem Handeln verquickt ist, desto dringlicher stellt sich die Frage, wer führt die Geschäfte, wer leitet und wer kontrolliert Leitung und Geschäftsführung bzw. Verwaltung. Die Frage der Gewaltenteilung und der damit verbundenen Verantwortlichkeiten bedarf einer grundsätzlichen Klärung." 

Dieser grundsätzlichen Klärung wich man entweder aus oder lehnte die Vorschläge der Höppner-Kommission an diesem so zentralen Punkt ab. 2013 war allerdings ein Jahr, dass neben den Verwerfungen durch den BBZ-Finanzskandal durch eine Vielzahl von geplanten oder sich bereits in der Umsetzung befindlichen Umbauprojekten gekennzeichnet war. Insofern ist die Skepsis gegenüber grundlegenden Veränderungen in der Verfassungsstruktur der EKiR nachvollziehbar. Allerdings hätte allein der Vorschlag, der Landessynode und den Kreissynoden eigenständige Präsidien zuzuordnen, Diskurse eröffnet und die Transparenz erhöht. Diese Chance wurde vertan. Stattdessen werden Synoden heute durch die geballte administrative Macht der Kirchenleitung bzw. der Kreissynodalvorstände dominiert. Diese stützen sich auf ihre jeweiligen Verwaltungen. Schon seit längerem funktionieren Synoden in der EKiR wie die Parteitage einer Regierungspartei. Offene Diskurse und Kontroversen gibt es kaum. So besteht die Gefahr, dass sich Fehlentwicklungen verstetigen, Informationen nur gefiltert bei Verantwortungsträgern ankommen und Stimmungslagen vor Ort falsch eingeschätzt werden.

Rheinische Realitäten

Und so sieht es aus in der evangelischen Kirchenlandschaft des Rheinlandes. Nun wird niemand behaupten können, einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Kirchenkreise, Gemeinden und Einrichtungen der rheinischen Kirche zu haben. Wesentliche "Kennzahlen", wenn man diesen Begriff schon verwenden will, weisen allerdings eher nach unten. Die Mitgliederzahl schrumpft, die Teilnahme an den Gottesdiensten liegt auf einem beschämend niedrigen Niveau mit Tendenz nach unten, weder konnte die "Taufquote" noch die Zahl der Kircheneintritte nennenswert gesteigert werden, eher im Gegenteil. Allein dies wäre Anlass genug, einmal innezuhalten und die seit 2006 verstärkt initiierten Umbaumaßnahmen kritisch zu reflektieren. Das einzige, was erheblich gestiegen ist, sind die Kirchensteuereinnahmen. Diese Tendenz war bereits 2013 erkennbar, als die Sondersynode in Hilden ein drastisches Sparprogramm beschloss. Mit einem Kirchensteuernettoaufkommen von 575,4 Mio. € rechnete man damals, 744 Mio. € bilden die Grundlage für die Haushaltsplanung 2019. Gemeinden und Kirchenkreise wurden zusammengelegt, Kirchen abgestoßen und Gemeindehäuser geschlossen. Tatsächlich sind viele Kirchenkreise und Gemeinden in einer finanziellen Schieflage. Denn insbesondere die durch NKF und andere Maßnahmen verursachten Verwaltungskosten sowie gestiegene landeskirchliche Umlagen zehrten den Zuwachs an Einnahmen auf. Und so kommt es immer wieder zu Situationen, die die Bindungskraft bei den Mitgliedern unserer Kirche schwächen und die für Unmut und Frustration sorgen.

Da haben in einem ländlichen Kirchenkreis 3 Kirchengemeinden fusioniert. Die Familie Schmidt lebt in einem Dorf mit 800 Einwohnern und eigener Kirche. Bis vor kurzem gab es auch ein Gemeindehaus, in das der Sohn Moritz zum Konfirmandenunterricht ging. Doch das Gemeindehaus wurde verkauft. Jetzt muss Moritz zum Unterricht in die 10 km entfernte Kreisstadt. Die Eltern sind drauf und dran, ihn vom Unterricht abzumelden, zumal sie vor einigen Tagen in ihrer Zeitung gelesen haben, dass die Kirchensteuereinnahmen erneut gestiegen sind. Und sie sehen an ihrer Gehaltsabrechnung, dass auch ihr eigener Kirchensteuerbeitrag in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist. Sie zahlen immer mehr, und die Kirche zieht sich immer weiter von ihnen zurück. Das verdirbt die Stimmung.

Der grundliegende Fehler liegt in jenem Finanzalarmismus, der  2005 und 2006 wohl am ausgeprägtesten gewesen ist. In der rheinischen Kirche erreichte er 2013 noch einmal einen unrühmlichen Höhepunkt. Es wurde mit der Angst um die angeblich schwindende Finanzkraft der Kirche Politik gemacht. Mit Hilfe einer "Schockstrategie" war man bemüht, die gewünschten strukturellen Veränderungen herbeizuzwingen. Angst ist jedoch nur sehr begrenzt ein konstruktiver Motivator. Eine Kirche, die in ihre Hauptaufgabe in der Verkündigung des Evangeliums sieht, sollte Veränderungen durch Hoffnung herbeiführen wollen. Sie sollte hierin vor allem wieder hörende Kirche werden. Denn segensreiche Veränderungen sind gottgewirkt.

Mut zur Veränderung

Wir leben in einer Zeit der Umbrüche und Veränderungen. Eine Kirche, die sich als Schöpfung des Wortes Gottes versteht und wahrnimmt, wird diese Veränderungen aufmerksam registrieren. Sie wird den vielfach durch Veränderungsdruck gestressten Menschen Orte zum Auftanken anbieten. Keinesfalls wird sie künstlich durch Change-Management und andere zweifelhafte Methoden ihrerseits Veränderungen forcieren, die bestenfalls die Gesamtheit der eigenen Organisation, nicht aber die in ihr arbeitenden und die auf sie angewiesenen Menschen im Blick haben.

Das Wort wird Wirklichkeit, wo man auf dieses Wort hört und sich von ihm erfüllen und umgestalten lässt. Zu dieser Art von Veränderung gehört wirklicher Mut, denn sie stellt sich ein, wo sich Menschen mit ihrem eigenmächtigen Planen und Konzipieren zurücknehmen und gerade dadurch Gottes Geist Raum geben. Unserer Kirche ist dieser Mut zur Veränderung, die stets auch Selbstkorrektur und Umkehr bedeutet, zu wünschen.

 

 

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