Die unredliche Kampagne um die Finanzkraft der Kirche
Von Hans-Jürgen Volk

2008 war für die Gliedkirchen der EKD in finanzieller Hinsicht ein ausgesprochen gutes Jahr. Doch zugleich wurden die Schatten der Finanz- und Wirtschaftskrise immer länger, je mehr es dem Jahresende zuging. Als der Vorsitzende des Finanzbeirates Klaus Winterhoff das Kirchengesetz für den Haushalt 2009 auf der Synode der EKD im November 2008 einbrachte, machte er folgende Ausführungen: „Angesichts der weiterhin absehbaren Kirchensteuerrückgänge infolge der demographischen Entwicklung, der Unbeständigkeit wirtschaftlicher Entwicklungen in einer globalisierten Welt sowie der anhaltenden Tendenz der deutschen Steuergesetzgebung zur Verlagerung des staatlichen Steueraufkommens von den einkommensabhängigen zu den verbrauchsorientierten Steuerarten, muss diese Entwicklung nach wie vor als vorübergehend angesehen werden - zumal nun schon ernste negative Folgen aus der Finanzmarktkrise für die Realwirtschaft zu erkennen sind.“ Winterhoff sagt hier durchaus Richtiges, wenn er auf die Risiken hinweist, die auf Grund einer neoliberalen Steuerpolitik für die Einnahmen der Kirchen erkennbar sind. Ebenso ist es nachvollziehbar, dass eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sich negativ auf die kirchlichen Einnahmen auswirkt. An erster Stelle behauptet Winterhoff jedoch, das die demographische Entwicklung Hauptursache für absehbare Kirchensteuerrückgänge der Zukunft sei. Außerdem gelingt es ihm, die Globalisierung als Ursache für eine unstete wirtschaftliche Entwicklung und damit als Risiko für die kirchlichen Einnahmen ausfindig zu machen. Nichts als die Wahrheit?

Es wird seit etlichen Jahren behauptet, der demographische Wandel sei die wesentliche Ursache für das stetige Schwinden der Finanzkraft der Kirche. Die EKD hat sogar eine einfache Formel geliefert: 2030 habe die Evangelische Kirche nur noch zwei Drittel des heutigen Mitgliederbestands und ca. die Hälfte der jetzigen Finanzkraft. Kanonisiert wurde diese zweifelhafte Erkenntnis durch die Aufnahme in das EKD-Dokument „Kirche der Freiheit“ im Jahr 2006. Es wird nun Jahr für Jahr von führenden Frauen und Männern der Kirche gepredigt, die Finanzkraft der Kirche würde auf Grund des demographischen Wandels stetig in angezeigter Weise zurückgehen. Auch in der Presseerklärung der Ev. Kirche im Rheinland zum Finanzbericht von Oberkirchenrat Immel, den dieser in seiner Eigenschaft als Finanzdezernent auf der Landessynode am 14. Januar 2010 vorgetragen hatte, heißt es: „Die Langfristprognose, nach der die Evangelische Kirche im Rheinland bis 2030 mit einem Rückgang ihrer Mitgliederzahl um ein Drittel und einer Verringerung der Kirchensteuereinnahmen um etwa die Hälfte rechnet, bleibt bestehen.“ Nichts als die Wahrheit, vorgetragen nach bestem Wissen und Gewissen?

Die Kampagne um die Sozialsysteme

Bereits in den 70-ger Jahren schlugen Männer wie Meinhard Miegel und Kurt Biedenkopf Alarm. Sie traten für einen Umbau der Sozialsysteme, insbesondere bei der Rentenversicherung ein. Den Grund für diesen Umbau sahen sie im demographischen Wandel. Anfang der 70-ger Jahre gab es erstmals die Situation, dass die Anzahl der Sterbefälle die Anzahl der Geburten deutlich übertraf. Biedenkopf und Miegel gründeten 1977 das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn (IWG BONN), ein privates Forschungsinstitut, das vor allem von der Versicherungswirtschaft finanziert wird. Die Lösung sah man in der Umwandlung der umlagefinanzierten und lohnbezogenen gesetzlichen Rente in eine allgemeine steuerfinanzierte Grundsicherung im Alter, die durch private Vorsorge zu ergänzen ist.

Die Argumentation war einfach. Immer weniger jüngere Arbeitnehmer müssten für die Alterssicherung von immer mehr Älteren aufkommen, deren Lebenserwartung zudem kontinuierlich steigt. Dies würde zu einer unerträglichen Belastung der jüngeren Generation führen. Immer höhere „Lohnnebenkosten“ würden zudem Arbeit verteuern und Arbeitslosigkeit verursachen. Der Ausweg: eine Grundsicherung auf Sozialhilfeniveau, die durch private Eigenvorsorge zu ergänzen ist. Das sei Generationengerecht. Nichts als die Wahrheit?

Die Kampagne, dass der demographischen Wandel und die Globalisierung die großen Herausforderungen der Gegenwart seien, zeigte ausgerechnet in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung beträchtliche Wirkung. Riester- und Rürup-Rente wurden als Elemente von Eigenverantwortung und privater Vorsorge eingeführt. Zeitgleich wurde die Agenda 2010 auf den Weg gebracht, bei die Hartz-Gesetze ein wesentlicher Baustein waren. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wurde vorangetrieben unter anderem durch die Förderung von Leiharbeit.

Miegel möchte „die tradierte Arbeitnehmergesellschaft“ überwinden und eine „eigenverantwortliche Bürgergesellschaft“ aufbauen. „Eigenverantwortung“ war eines der Schlagworte, mit denen in den vergangenen Jahren solidarische Sicherungssysteme geschwächt und Lebensrisiken verstärkt individualisiert wurden. Gleichzeitig wurden sogenannte „Leistungsträger“ steuerlich massiv entlastet, was im Übrigen nicht nur negative Folgen für den immer stärker unterfinanzierten öffentlichen Sektor hatte, sondern auch die Einnahmen der Kirchen schmälerte. All dies wird begründet mit dem demographischen Wandel und der Globalisierung. Tatsächlich steht jedoch ein neoliberales Gesellschaftsmodell Pate, in dem die letztlich verlogene Haltung, „jeder sei seines Glückes Schmied“, strukturbildend ist und Solidarität zu einem aus Barmherzigkeit gespeisten bürgerschaftlichem Privatengagement zusammenschrumpft.

Die Ergebnisse dieser interessen- und ideologiegeleitenden Politik sind entsprechend: Heute leben etwa 6,75 Mio. Menschen von Hartz IV, in Deutschland macht der Niedriglohnsektor mittlerweile fast ein Viertel aller Beschäftigungsverhältnisse aus - Ähnliches gibt es nur noch in der USA. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Gerade jüngere Beschäftigte, deren Berufseinstieg oft genug durch Praktika und niedrige Einstiegslöhne gekennzeichnet ist, haben kaum die Möglichkeit, ihre gesetzliche Rentenversicherung durch Privatvorsorge aufzustocken. Bei ihnen ist Altersarmut vorprogrammiert ebenso wie bei dem erheblichen Anteil der Menschen, die auf Hartz IV-Niveau leben müssen oder im Niedriglohnsektor arbeiten. Schon heute gilt, dass Armut wächst in einem Land, das bezogen auf seine Wirtschaftskraft dennoch immer reicher wird.

Ausgangspunkt dieser sogenannten „Reformen“ war der demographische Wandel, insbesondere für den „Umbau“ der Sozialsysteme gilt dies. Immer weniger Beschäftige müssen für immer mehr Rentner aufkommen. Dies ist durchaus wahr und richtig. Nur galt dieser Satz bereits für die Zeit zwischen 1881 - 1889, als die umlagefinanzierten Sozialversicherungen eingeführt wurden. Bereits damals sank die Zahl der Geburten, gleichzeitig nahm die Lebenserwartung zu. Dieser Tatbestand gilt für das gesamte 20. Jahrhundert. Positiv formuliert: auf Grund steigender Produktivität waren immer weniger ArbeitnehmerInnen in der Lage, immer mehr RentnerInnen mit steigender Lebenserwartung zu finanzieren. Die folgende Graphik macht deutlich, dass die demographische Entwicklung in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich dramatischer verlief als z.B. in den vergangenen 10 Jahren. Zudem gab es hervorgerufen durch zwei Weltkriege erhebliche demographische Verwerfungen. Dennoch war dies für die umlagefinanzierten Sozialsysteme eine Herausforderung, die bewältigt wurde.

Die Fakten sprechen dafür, dass die Behauptung, der demographische Wandel mache einen Umbau der Sozialsysteme von einer solidarischen Umlagefinanzierung hin zu einer kapitalgedeckten Eigenvorsorge nötig, Teil einer Kampagne ist. Bedient werden die Interessen der Versicherungswirtschaft, die schon jetzt prächtig verdient und ihre Einlagen der Finanzindustrie, deren fehlende Gemeinwohlorientierung sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bestätigt hat, als Spielmaterial zur Verfügung stellt. Vorangetrieben werden soll tatsächlich ein Umbau unsere Gesellschaft hin zu einem neoliberalen Modell.

Die Trittbrettfahrer

Klaus Winterhoff hatte behauptet, der demographische Wandel übe entscheidenden Einfluss auf die Finanzkraft der Kirche aus. Ebenso stellte er die zutiefst unsoziale Tendenz, dass Verbrauchssteuern in der Tat seit den 80-ger Jahren gegenüber der einkommensbezogenen Besteuerung erheblich an Bedeutung gewonnen haben, als quasi naturgesetzliche Gegebenheit dar. Was ist daran wahr? - Die Wahrheit ist, dass sozialer Ausgleich nur über einkommens- und vermögensbezogene Besteuerung erzielt werden kann. Die Wahrheit ist ebenso, dass der demographische Wandel jedenfalls keinen empirisch messbaren Einfluss auf die kirchlichen Einnahmen gehabt hat - eben so wenig, wie er herangezogen werden kann als Einflussfaktor auf die Steuerkraft des Staates.

Winterhoff ist nur einer von vielen. Innerhalb der evangelischen Kirche gibt es zahlreiche hochrangige Verantwortliche, die gleiches behaupten. Erstaunlich ist, mit der Hemmungslosigkeit sie sich als Trittbrettfahrer an eine Kampagne ran hängen, mit der interessengleitete Kreise erfolgreich unsere Sozialsysteme beschädigt haben.

Die Zahlen belegen, dass eine Kirche - als Beispiel sei hier die Ev. Kirche im Rheinland angeführt - über Jahrzehnte hinweg Mitglieder verlieren kann. Dennoch steigt ihre Finanzkraft eindrucksvoll.

  1970 1974 1977 1981 1987 1990 1994
Gemeindeglieder in Mio. 3,856 3,733 3,604 3,483 3,318 3,269 3,201
Nettokirchensteuer-Aufkommen in EUR 200 Mio. 340 Mio. 350 Mio. 400 Mio. 440 Mio. 580 Mio. 640 Mio.

 

Zwischen 1970 und 1994 verlor die Ev. Kirche im Rheinland 655.000 Mitglieder, dass sind ca. 17% ihres Bestandes. Im gleichen Zeitraum stieg ihre Kirchensteueraufkommen um 440 Mio. Euro - im Vergleich zu 1970 um sagenhafte 320%. Erwähnenswert ist zudem, dass der Kirchensteuersatz 1975 im Bereich der Ev. Kirche im Rheinland von 10% auf 9%, in etlichen anderen Gliedkirchen der EKD sogar auf 8% herabgesenkt wurde.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass das Kirchensteueraufkommen seit 1994 insgesamt eher rückläufig ist. Hierzu gehören auch deutliche Einbrüche wie das Jahr 2005 mit einem Netto-Kirchensteueraufkommen von 492 Mio. Euro. Diese Differenz von 148 Mio. Euro zu 1994 erklärt, warum in der Ev. Kirche im Rheinland Stellen abgebaut und Strukturveränderungen umgesetzt wurden. Dies ist bis zu einem gewissen Grad durch die reale Finanzlage gedeckt.

Interessant und aufschlussreich ist jedoch ein Blick auf die Situation ab 2005:

  2005 2006 2007 2008 2009
Gemeindeglieder in Mio. 2,952 2,937 2,920 2,889 2,860
Nettokirchensteuer- Aufkommen in Euro 492 Mio. 499 Mio. 562 Mio. 599 Mio. 580 Mio.

 

Wenn zwischen 1970 und 1994 einem deutlichen Mitgliederschwund ein mehr als verdreifachtes Kirchensteueraufkommen gegenübersteht, so ist die Behauptung, der demographische Wandel habe signifikant negativen Einfluss auf die kirchliche Finanzkraft, als nicht der Wahrheit entsprechend widerlegt. Die Wirklichkeit sah über einen Zeitraum von 24 Jahren völlig anders aus. Ein ähnliches Bild ergibt der Blick auf den allerdings wesentlich kürzeren Zeitraum zwischen 2005 und 2009: trotz sinkender Mitgliederzahlen steigen die Kirchensteuereinnahmen deutlich.

Kirchliche Verantwortungsträger wie der Finanzdezernent der Ev. Kirche im Rheinland Immel versuchen dennoch immer wieder den Eindruck zu erwecken, die negative Mitgliederentwicklung bzw. der demographische Wandel sei die wesentliche Ursache für die schwindende Finanzkraft der Ev. Kirche seit 1994. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Rückläufige Tendenzen bei den Kirchensteuereinnahmen lassen sich durch eine negative wirtschaftliche Entwicklung, vor allem aber auch durch steuerpolitische Maßnahmen plausibel erklären. Hinzu kommt, dass die Reallohnentwicklung seit 1990 faktisch stagniert.

Lag der Spitzensteuersatz in den 70-ger Jahren noch bei 57% - dies wurde bis 1989 beibehalten - so wurde er 2004 von 53% auf 45%, ein Jahr später sogar auf 42% herabgesenkt. 2007 wurde er - allerdings nur für Bezieher von einem Jahreseinkommen von über 250.000 Euro - erneut auf 47% angehoben. Die Erhöhung des Grundfreibetrages sowie die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 14% führte dazu, dass eine große Anzahl abhängig Beschäftigter gar nicht oder nur mit marginalen Beträgen steuerpflichtig und damit auch kirchensteuerpflichtig waren.

Die folgende Graphik macht deutlich, dass die Schwankungen bei der Kirchensteuer problemlos steuerpolitischen Maßnahmen zugeordnet werden können:

Autor der Graphik: Udo Brechtel

Die steuerpolitischen Maßnahmen korrespondieren in aller Regel mit konjunkturellen Abschwüngen und wirtschaftlichen Krisen. Denn spätestens seit Beginn der 90-ger Jahre war man der Ansicht, dem nur durch „Verbesserung der Investitionsbedingungen“ und „Entlastung der Leistungsträger“ entgegenwirken zu können. Ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung verschärfte diese angebotsorientierte Politik mit der Folge, das die Massenkaufkraft sank, der öffentliche Sektor unter immer größeren Finanzproblemen litt und im Gegenzug die Vermögen der eh schon Wohlhaben stetig wuchsen. Nebenbei wurden so der Privatisierung ehemals öffentlicher Unternehmen Tür und Tor geöffnet, denn aus purer Not trennten sich viele Kommunen von ihrem Wohneigentum und ließen sich auf zweifelhafte Privat-Publik-Partnership-Projekte ein.

Exponierte Vertreter der evangelischen Kirche betätigen sich bis heute als Trittbrettfahrer einer neoliberalen Politik und Meinungsmache. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Finanzprobleme der Kirchen keineswegs auf den demographischen Wandel zurückzuführen sind. Entscheidend ist eine neoliberale Steuer- und Wirtschaftspolitik, die seit Beginn der 90-ger Jahre erst moderat, dann mit der Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2000 in aller Schärfe vorangetrieben wurde.

Eine Propagandaformel und ihre bitteren Folgen

„Auf eine einfache Formel gebracht lautet die Zukunftsperspektive:

Die evangelische Kirche wird im Jahr 2030
ein Drittel weniger Mitglieder als 2002 haben
und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.“

Mit großem Pathos wurde dies von einer Arbeitsgruppe der Ev. Kirche im Rheinland vorgetragen, die in Vorbereitung der Landessynode 2006 Vorschläge zum Dienst- und Arbeitsrecht erarbeiten sollte. Über weite Strecken liest sich die Einleitung wie eine Werbebroschüre der Versicherungswirtschaft. Nur ging es diesmal nicht darum, Menschen eine zusätzliche private Altersvorsorge aufzuschwatzen, sondern es ging im innerkirchliche Strukturveränderungen, die ohne die Begründung, dass gesichert die Finanzkraft der Kirche langfristig um mindesten 1%- 2% im Jahr zurückgehen werde, niemals synodale Mehrheiten gefunden hätten.

Wenig später tauchte die „Einfache Formel“ im Impulspapier der EKD „Kirche der Freiheit“ erneut auf. Abgesehen davon, dass die Zahlen zur demographischen Entwicklung aus einer EKD-Studie aus dem Jahr 1996 stammen, ist ein stetiger Mitgliederverlust für eine Kirche ein bitterer Tatbestand. Wenig tröstlich ist es, dass die Kirchen im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Großorganisationen wie Parteien oder Gewerkschaften im Bezug auf ihre Mitgliederentwicklung immer noch hervorragend abschneiden. Ein Mitgliederverlust, der seit den 70-ger Jahren anhält, signalisiert Handlungsbedarf. Allerdings hat er keinen wirklichen Einfluss auf die Finanzkraft der Kirche. Es gibt in Deutschland eben keine Kopfsteuer, sondern eine einkommensbezogene Besteuerung. Wenn 500.000 Menschen aus der Kirche austreten, die von Transferleistungen leben oder die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind, ist dies für die Finanzkraft der Kirche ohne Bedeutung. Wenn dagegen 10 Multimillionäre die Kirche verlassen, ist dies ein finanzielles Debakel. Es gehört zur neoliberalen Diktion, dass es bedauerlicherweise Gewinner und Verlierer gibt, wenn auf Grund der Globalisierung und des demographischen Wandels unvermeidliche und alternativlose Strukturveränderungen umgesetzt werden. Die aus einer Propagandaformel hervorgegangene Fiktion, man könne langfristig verlässliche Aussagen über die Finanzkraft der Kirche machen, produzierte zahlreiche Verlierer.

  • Jungen Theologinnen und Theologen hatte man in den 90-er Jahren noch versichert, irgendwann ab 2010 gäbe es mehr freie Pfarrstellen als BewerberInnen. Dies hatte junge Menschen zum Theologiestudium ermutigt, obwohl damals schon Pfarrstellen abgebaut wurden. Plötzlich wurde ihnen vermittelt, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen keinerlei Chance auf eine Anstellung als Pfarrer/in hätte.
  • Sie mussten sich ebenso wie andere Personengruppen in ungesicherten pastoralen Beschäftigungsverhältnissen wie dem Sonderdienst einem rigiden „zentralen Auswahl- und Bewerbungsverfahren“ aussetzen. Hierbei waren zahlreiche Pastorinnen und Pastoren im Sonderdienst im fortgeschrittenen Alter, die Familie hatten und seit vielen Jahren mit Einsatz und Kompetenz für ihre Kirche tätig waren. Nicht wenige wurden nun als „nicht geeignet“ aussortiert und standen vor dem beruflichen Aus mit allen sozialen Folgen.
  • Ähnliches gilt für Pfarrer/innen im Wartestand. Nicht nur nach Abberufungs- oder gar Disziplinarverfahren, sondern auch nach einer Tätigkeit im Ausland, in einer anderen Landeskirche oder auch nach dem Abbau der eigenen Pfarrstelle erlangt man diesen Status. Hier gibt es nach dem Scheitern im zentralen Auswahl- und Bewerbungsverfahren immerhin ein, wenn auch erheblich gekürztes Ruhegehalt.
  • Theologinnen und Theologen sind allerdings nur eine kleine Gruppe, betrachtet man die große Anzahl der Beschäftigten, die als KüsterInnen, ErzieherInnen, KirchenmusikerInnen, in der Verwaltung oder in der kirchlichen Jugendarbeit beschäftigt sind, ganz zu schweigen von den vielen Beschäftigungsverhältnissen in der Diakonie oder in kirchlichen Beratungsstellen. Sie geraten im Moment durch zwei Faktoren in besonderer Weise unter Druck: -Durch die Einführung des Neuen kirchlichen Finanzwesens und den damit verbundenen Regelungen zur Substanzerhaltung, die insbesondere Gemeinden dazu zwingen, wesentlich mehr Mittel als früher zum Unterhalt von Gebäuden Rücklagen zuzuführen - durch die Tatsache, dass 20% der Kirchensteuereinnahmen der Versorgungskasse für PfarrerInnen und Kirchenbeamte zugeführt werden.

Die durch steuerpolitische Entscheidungen und die Auswirkungen der Finanzkrise nicht ganz einfache Finanzsituation wird durch diese beiden Faktoren künstlich verschärft. Die Folge ist, dass weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit zahlreiche Menschen ihre Arbeit verlieren oder sich die Konditionen ihres Beschäftigungsverhältnisses verschlechtern. All dies lässt sich nicht begründen mit der aktuellen Finanzlage der Ev. Kirche, die zwischen 2005 und 2009 durchaus gut war und in keiner Weise Argumente für betriebsbedingte Kündigungen und Arbeitsplatzverluste hätte liefern können. „Auf Grund des demographischen Wandels müssen wir davon ausgehen, dass die kirchlichen Einnahmen langfristig zurückgehen werden. Darum ist es notwendig, jetzt zu handeln und Strukturen zu ändern, solange wir noch aktionsfähig sind.“ - Dutzende von exponierten Kirchenvertretern argumentieren so mit dem immer ähnlichen Wortlaut. Auch sie gehören zu den Verlierern. Wer glaubt, um gewünschte Veränderungen vorantreiben zu können, ein geschmeidiges Verhältnis zur Wahrheit entwickeln zu dürfen, der verliert über kurz oder lang jedes Vertrauen. Hätte es keine Finanz- und Wirtschaftskrise gegeben, so wäre die Überzeugungskraft jener „einfachen Formel schon jetzt in sich zusammengebrochen. Denn zwischen 2000 und 2008 sank das Kirchensteueraufkommen der Ev. Kirche im Rheinland keineswegs. Trotz einem Mitgliederverlust um etwa 8% stieg es in einem Umfang von 8,71%.

 

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