Adel entpflichtet!

Der Fall Guttenberg dokumentiert die wachsende soziale Schieflage in unserer Gesellschaft
Von Hans-Jürgen Volk

Annette Schavan schämt sich für ihren adeligen Kabinettskollegen – und „das nicht nur heimlich“. Zugleich meint sie: „Für einen Minister gilt das Gleiche wie für jeden Menschen: Er hat eine zweite Chance verdient …“ (Vgl. das Interview in der Süddeutschen Zeitung)
Der Bayreuther Juraprofessor Oliver Lepsius ist noch klarer in seinem Urteil über das Verhalten von Guttenbergs im Zusammenhang mit dessen „Doktorarbeit“. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Machwerk von Anfang an als Kollage konzipiert wurde und mit einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung nichts zu tun hat. Um die Diskrepanz zwischen dem objektiven Tatbestand des Betrugs und der subjektiven Wahrnehmung des Verteidigungsministers, die dieser jedenfalls öffentlich demonstriert, aufzulösen, möchte Lepsius sogar die Psychologie bemühen. (Vgl. Interview von Lepsius mit dem bayrischen Rundfunk).
Von Guttenberg gehört zu der kleinen Schicht von begüterten Menschen, die weitaus mehr durch ihre familiäre Herkunft als durch eigene Leistung materiell so gut abgesichert sind, dass sie nie in die Versuchung kämen, einen Ladendiebstahl zu begehen. Sie können sich alles an materiellen Gütern leisten, was ihr Herz begehrt. Der Diebstahl von geistigem Eigentum zeigt allerdings andere Defizite des Verteidigungsministers auf. Offenkundig handelt es sich um Mängel moralischer und intellektueller Art.
Dass diese Mängel für etliche Konservative, die sich jetzt schützend um ihr angeschlagenes Idol stellen, offenbar ein geringeres Gewicht haben als der gute Ruf der Familie Guttenberg sowie die von der Bild-Zeitung und anderen Medien kräftig prolongierte Beliebtheit des Jungpolitikers, wirft ein Schlaglicht auf die politische Kultur und die soziale Realität in unserem Land. Wirtschaftskriminalität oder geistiger Diebstahl werden offenbar als Kavaliersdelikte angesehen – immer unter der Voraussetzung, es handelt sich auch um einen „Kavalier“ der Wirtschafts- und Geldelite. Begehen allerdings abhängig Beschäftigte oder gar EmpfängerInnen von Transferleistungen wesentlich geringere Vergehen, so können sie auf keinerlei Gnade und Nachsicht hoffen.
Anfang 2008 sorgte der Fall „Emmely“ für Schlagzeilen. Einer Kassiererin einer Kaisers-Filiale in Berlin wurde nach einem Arbeitsverhältnis von 31 Jahren auf Grund von unrechtmäßig eingelösten Leergutbons im Wert von 1,30 € fristlos gekündigt. Immer wieder entschieden Arbeitsgerichte in vergleichbaren Fällen ganz ähnlich: Menschen verloren ihre Arbeit auf Grund von einem Stück Bienenstich, einer kalten Frikadelle oder ähnlicher Bagatellen. Falls ein Arbeitgeber der Ansicht ist, auf Grund eines aus Versehen eingesteckten Kugelschreibers einem Angestellten fristlos kündigen zu müssen, so hat er vor deutschen Arbeitsgerichten immer noch gute Chancen, damit durchzukommen. Betrachtet man die Gnadenlosigkeit, mit der manche Hartz IV-EmpfängerInnen bedenkenlos sanktioniert werden, so wird die Gefahr deutlich, dass im Grundgesetz verankerte Grundwerte wie „Menschenwürde“ oder die Gleichheit Aller vor dem Gesetz zu bloßen Worthülsen zu verkommen drohen. Sie haben zunehmend einen ähnlichen Wahrheitsgehalt wie die in Hochglanzbroschüren verbreitete Werbung für Finanzmarktprodukte.
Dass Annette Schavan sich schämt, ist immerhin ein Hoffnungszeichen. Allein auf Grund seiner nun jederzeit auch im Internet nachzuvollziehenden intellektuellen Defizite ist ein Scheitern von Guttenbergs in seinem höchst anspruchsvollem Ministeramt wahrscheinlich. Ob er nun einen oder 10 oder gar keinen Doktortitel hat, ist für die Realität in unserer Gesellschaft höchst irrelevant. Er wird es zu kaum mehr als einer Fußnote in der deutschen Geschichte bringen, wenn überhaupt. Wesentlich bedrückender ist das Verhalten jener Schicht von „Kavalieren“, die er repräsentiert. Offenbar haben sie intern eigene Maßstäbe entwickelt, mit denen sie sich vom Rest der Menschheit abgrenzen. Für diese Schicht der „Herrenreiter“ ist jedes denkbare Delikt offenbar ein Kavaliersdelikt.
„Jeder hat eine zweite Chance verdient.“ sagt Anette Schavan. Schön wär's!

 

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