Angst vor dem Krieg

Notizen zur Situation in der Ukraine
Von Hans-Jürgen Volk

"Was sind Staaten anderes, als große Räuberbanden, wenn es in ihnen keine Gerechtigkeit gibt!" - Dieses Zitat stammt nicht von einem linken Sozialromantiker, sondern von Augustinus. Bekanntlich nahm er eine nüchtern-skeptische Haltung gegenüber der Reichweite moralischer Integrität von Staatlichkeit ein.

Wie verheerend die Folgen sind, wenn Staaten ohne Rücksicht auf Völkerrecht und Verhältnismäßigkeit Kriege führen, haben die vergangenen gut 20 Jahre überdeutlich gezeigt. Die Situation vor allem im Irak spiegelt die moralische Bankrotterklärung eines Interventionismus, der jenseits der verbalen Fassaden von Freiheit und Demokratie tatsächlich ökonomische und machtstrategische Interessen verfolgt. Auch in Afghanistan oder Libyen wird man nicht ernsthaft behaupten können, die Situation der einfachen Menschen habe sich durch westliche Interventionen verbessert. Wie grässlich Bürgerkriege sind, die von externen Mächten kühl kalkulierend befeuert werden, kann man in Syrien beobachten.

Auf diesem Hintergrund bedrückt es, was sich im Osten Europas auf dem Gebiet der Ukraine abspielt. Ich erinnere mich an den Beginn des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien. Damals zerfiel die staatliche Ordnungsmacht und bald standen sich bewaffnete Gruppen gegenüber, die Scheußlichkeiten begingen weit jenseits dessen, was in einer modernen Zivilisation im Bereich des Erträglichen ist.

Gespräch beim Griechen

Im Urlaub verabrede ich mich mit einer guten Freundin in einem griechischen Lokal in einer kleinen Moselstadt. Dieser Grieche ist übrigens ein Thema für sich. Er ist nicht unbedingt ein Sympathieträger, dafür ausgesprochen schlitzohrig und geschäftstüchtig. Sein Lokal hat einen guten Ruf, weil er einen erstklassigen Koch engagiert hat und seinen Gästen mit mediterraner Freundlichkeit entgegentritt.

Meine Freundin Svetlana ist eine gebürtige Russin, der Bergbau studiert hat, mit einem Deutschen verheiratet ist und seit Anfang der 90-er Jahre in Deutschland lebt. Mich erstaunt es, als sie mir von zahlreichen Verwandten und Freunden berichtet, die im Osten der Ukraine leben. Svetlana ist viel weiter östlich in der Nähe von Perm aufgewachsen. Sie fragt mich nach meiner Einschätzung, was die Situation in der Ukraine betrifft.

Ich bin vorsichtig und deute an, dass ich die Berichterstattung in Deutschland als einseitig empfinde. Vor einigen Jahren war ich einmal etliche Wochen in Kasachstan und wunderte mich noch lange über eigenartig schräge Presseberichte über dieses Land von Journalisten, die in Moskau oder Istanbul stationiert waren. Es wimmelte darin nur so von Ungenauigkeiten und Fehlern. Wirklich beurteilen kann man die Situation in einem Land wohl erst dann, wenn man sich selbst für eine Zeitlang dort aufhält und Interesse an den Menschen und ihrem Alltag hat. Um so interessanter ist für mich das Gespräch mit Svetlana, die regelmäßig Kontakt zu ihren Freunden und Verwandten in der Ostukraine pflegt. Es beschert mir einige neue Einsichten.

"Die Menschen haben großen Respekt vor Putin." sagt Svetlana. "Unter Jelzin bekamen die Leute oft monatelang keine Renten und keine Gehälter ausgezahlt, da hat Chaos geherrscht - und die Maffia. Das ist jetzt anders. Russland ist wieder ein funktionierender Staat." Ich erfahre, dass sich die Lebensbedingungen gerade der kleinen Leute gegenüber den 90-er Jahren spürbar verbessert haben. Es gibt Verlässlichkeit, Renten und Gehälter fließen regelmäßig und sind sogar gestiegen. Das ist nicht wenig. "Die Ukraine ist da anders, da haben noch die Oligarchen das Sagen. Und deswegen übt Russland für die Menschen im Osten der Ukraine eine große Anziehungskraft aus. Die wollen einfach nur leben und arbeiten." sagt meine Gesprächspartnerin.

Ein sozialer Konflikt

Langsam wird mir klar, dass es sich im Kern im einen sozialen Konflikt handelt. Die Menschen in Donezk und anderen Städten der Ostukraine wissen genau, dass der dort vorhandene Bergbau und die Schwerindustrie im Rahmen der EU nicht überleben werden. Sie haben Angst, Angst um ihre Arbeitsplätze und um ihre Existenz. Das westliche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ist für sie eine Bedrohung. Natürlich wird auch die nationale Karte gespielt, im Westen der Ukraine vorrangig von rechten bis faschistischen Kräften, im Osten von großrussischen Nostalgikern, aber dies ist nicht der Kern des Problems. Wenn Angst ignoriert wird, in Kiew, aber erst recht in den Hauptstädten des Westens, schlägt sie irgendwann in Aggression um.

Dass auch die Menschen im Westen der Ukraine Angst haben, weiß Svetlana. Sie haben Angst vor russischer Machtpolitik. Sie sehnen sich nach demokratischen Freiheiten und echter Rechtsstaatlichkeit. Hier weiß man sich bei den Westeuropäern und den USA besser aufgehoben. Svetlana traut der Administration um Putin einiges zu. Sie ist sicher, dass es da einen Masterplan gibt und dass jede Gelegenheit genutzt werden wird, den eigenen Machtbereich auszudehnen. "Aber der Westen ist doch auch nicht besser!" sagt Svetlana.

Sie hat auch Angst. Sie sorgt sich um ihre Leute. Sie wird wieder einen Versuch machen, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs in die Ostukraine zu schicken. Um die Menschen müsste es gehen, nicht um Machtstrategien.

 

 

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