D i e E r b e n s p ä t r ö m i s c h e r D e k a d e n z

Von Hans-Jürgen Volk

Wir gehen harten Zeiten entgegen. Ein exponierter Politiker, Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, möchte um jeden Preis ein halbwegs passables Ergebnis seiner Partei bei kommenden Landtagswahlen erreichen. Er bringt sich ins Gespräch mit Thesen, die die Wirklichkeit auf den Kopf stellen und versucht, Hartz IV-Empfänger und die Vielen, die mittlerweile im Niedriglohnbereich ihr Dasein fristen müssen, gegeneinander aufzuhetzen. Erbärmlich!
Ein Mensch, der bewusst polarisiert und eine Gesellschaft spaltet, der gerade die, die es in unserer Gesellschaft am schwersten haben, verhöhnt und ihrer Würde beraubt. Die Antwort auf seine Tiraden kann eigentlich nur die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns sein. Doch das lehnt er ab, was entlarvend ist. Es geht ihm nicht um die Menschen.

Und doch sagt er einen Satz, über den man nachdenken sollte: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“

Von Wohlstand ist der 55-jährige Facharbeiter, der vor Jahren seinen Arbeitsplatz bei Nokia verlor und jetzt von Hartz IV leben muss, weit entfernt. Anstrengend und aufreibend ist sein hoffnungsloser Alltag. Er muss tun, was der Mitarbeiter von der Arge im sagt, sonst wird der Betrag, der ihm eigentlich das Existenzminimum sichern soll, empfindlich gekürzt. Die alleinerziehende Frau lebt mit ihren drei Kindern in beengten Verhältnissen. Ihr karriereorientierter und hedonistisch veranlagter Lebensgefährte hat sie verlassen. Jetzt fristet sie ihr Dasein von Hartz IV; schlimm für sie, vor allem für die Kinder. Sie lebt in Armut ebenso wie jener arbeitslose Facharbeiter. In Armut lebt nach den allgemein gültigen Definitionen auch die Kellnerin, die sich mit einem Stundenlohn von 7,50 Euro noch ganz gut steht im Vergleich zu anderen in ihrer Branche. In Armut leben auch viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter - nicht nur bei Schlecker.

Freilich gibt es Etliche, die anstrengungslos zu Wohlstand kommen und ihn ebenso anstrengungslos mehren. Erben ist nicht besonders anstrengend. Das Vermögen fließt einem zu wie bei einem Lottogewinn. Anstrengend mag vielleicht noch das aktive Spekulieren auf den Finanzmärkten sein, dass von alerten, völlig überbezahlten Hilfskräften betrieben wird im Interesse von kapitalstarken Magnaten im Hintergrund. Pokerspielen ist auch anstrengend. Und die Magnaten genießen den Nervenkitzel und das Leben. Gewiss, auch eine große Sause an lauen Sommerabenden mit willfährigen Schönheiten kann extrem anstrengend sein, was allerdings lediglich ein Beleg dafür ist, dass bestimmte Formen der Anstrengung große Vermögen ein klein wenig reduzieren können.
Die Erben spätrömischer Dekadenz sind jedenfalls eher am Swimmingpool zu finden, als in der Zwei-Zimmer-Wohnung oder in der Dorfkneipe. Die besseren Leute der Spätantike waren in der Tat äußerst erfinderisch, was die Gestaltung großer Sausen anging. Kandierte Nachtigallenzungen, poschierte Löwenleber und Pfauenfedern gehörten noch zu den weniger aufregenden Zutaten ihrer Gelage. Sie genossen die Freiheit in vollen Zügen, weil sie jeden Menschen, der nicht ihres gleichen war, als verwertbares Objekt ansahen - in gewisser Hinsicht Vorläufer der neoliberalen Freiheitsfreunde von heute.

Es gibt viele interessante Theorien über den Niedergang des römischen Reiches. Ein wesentlicher Faktor hierfür war ohne Zweifel, dass die besseren Leute, die an den Schalthebeln saßen, jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren - vor allem zum Lebensalltag der einfachen Menschen. Das kommt einem seltsam bekannt vor.

Freiheit braucht eine materielle Basis. Authentische Liberale wie Friedrich Naumann und Karl-Herrmann Flach wussten dass noch. Ihr Freiheitsverständnis richtete sich gegen staatlichen oder gesellschaftlichen Zwang. Sie wollten Freiräume schaffen, damit auch die nicht mit vornehmer Herkunft und großem Vermögen ausgestatteten Menschen sich entfalten konnten. Genau die verachtet offenbar jener Politiker aus Bonn, der von dem kindischen Verlangen getrieben ist, Wahlen zu gewinnen.

Ein Erbe fällt einem gerade in Deutschland ohne Anstrengung zu, manchmal erbt man sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein. Historisch gebildete Menschen werden bei dem Stichwort „spätrömische Dekadenz“ jedenfalls eher an jenen Politiker aus Bonn denken und an seinesgleichen, als an den arbeitslosen Facharbeiter oder die unterbezahlte Kellnerin. Christen können nur an der Seite der Armen stehen, gleich, ob sie von Hartz IV leben müssen oder im Niedriglohnbereich arbeiten. Ihre Freiheit gilt es zu verteidigen gegen die selbstverliebten Ambitionen jener Freiheitsfreunde, die von der Hypothese ausgehen, dass der normale Mensch nur durch Druck und Zwang in ein brauchbares Instrument ökonomischen Fortschritts zu verwandeln ist, dessen Ertrag gewollt nur einer auserwählten Minorität zukommen darf.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1)

Ein gutes Wort für harte Zeiten.

 

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