Wer da hat, dem wird gegeben

Die Diskussion um das Betreuungsgeld offenbart Schwächen der Sozialpolitik
Von Hans-Jürgen Volk

Das Betreuungsgeld ist der koalitionspolitische Preis für den geplanten Ausbau der Kindertagesstätten. Eltern sollen - staatlich unterstützt - die Wahlfreiheit haben, ob sie ihre Kinder Bildungseinrichtungen anvertrauen oder sie lieber zu Hause behalten wollen. „Wahlfreiheit“ existiert allerdings nur in der Theorie. Denn der Ausbau der Kindertagesstätten entspricht nicht zuletzt im Blick auf die Krippenplätze bei weitem noch nicht dem angenommen Bedarf. Das Betreuungsgeld erhält jedoch jeder, der es in Anspruch nehmen möchte. Ausgenommen sind allerdings Bedarfsgemeinschaften, die auf Hartz IV-Niveau leben. Sie erhalten zwar Betreuungsgeld, dies wird jedoch mit den Leistungen aus Hartz IV verrechnet; so die Absicht.

Nur 34% der Bundesbürger befürworten die Einführung des Betreuungsgeldes, 61% lehnen sie ab. Sogar bei den Unionsanhängern hält eine Mehrheit von 55% das Betreuungsgeld für keine sinnvolle Regelung. (http://politbarometer.zdf.de/ZDFde/inhalt/26/0,1872,8509978,00.html)

Die Skepsis hat Gründe. Das Betreuungsgeld ist ein finanzpolitisches Abenteuer, dass den Bundeshaushalt mit 1,5 - 2 Milliarden € belasten kann. Es reiht sich damit ein in andere familienpolitische Leistungen wie Kindergeld oder Elterngeld, die ebenfalls großzügig nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Familien mit hohen und höchsten Einkommen profitieren genauso von ihnen wie Normalverdiener. Die wirklich Bedürftigen, also diejenigen, die auf Leistungen aus Hartz IV angewiesen sind - zum Teil trotz eigener Erwerbstätigkeit - gehen leer aus. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom November 2011 betrifft dies ca. 4,18 Millionen Personen, die in Bedarfsgemeinschaften leben. (Vgl. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Monatsbericht-Arbeits-Ausbildungsmarkt-Deutschland/Monatsberichte/Generische-Publikationen/Monatsbericht-201203.pdf S. 75). Es ist ein fragwürdiges Kennzeichen der aktuellen Sozialpolitik: Dort, wo es um familienpolitische Leistungen geht, gilt das Motto „Wer da hat, dem wird gegeben!“. Diejenigen, für die Betreuungsgeld oder Elterngeld eine spürbare Entlastung ihrer materiellen Situation wäre, gehen leer aus. Anders ausgedrückt: Kinder aus Hartz-IV-Familien sind aus der Sicht der Mehrheit der konservativ-liberalen Politiker nicht förderungswürdig.

Geldverschwendung

Eigentlich ist man sich einig darüber, dass angesichts der demographischen Entwicklung und des drohenden Fachkräftemangels in manchen Branchen kein Kind zurückbleiben darf. Wollte man Kinder und Jugendliche aus sozial-schwachen Familien tatsächlich entschlossen fördern, müsste man mit wesentlich größerer Intensität die öffentliche Infrastruktur im Bildungsbereich ausbauen. Stattdessen sollen Steuermittel verplempert werden für die Alimentierung von Notaren, Zahnärzten oder Immobilienmaklern, die ihren Nachwuchs zu Hause behalten. Der Ausbau der Kindertagesstätten ist schon jetzt gefährdet. Denn er ist eine, zwar vom Bund unterstützte, kommunale Aufgabe. Die Kommunen müssen die langfristigen Kosten des Ausbaus tragen. Hier tritt der interessante Effekt auf, dass gerade die Kommunen mit der größten Dichte an Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften in der Regel die größten Finanzprobleme haben. Diese Kommunen sind am wenigsten in der Lage, den Ausbauzielen aus eigener Kraft gerecht zu werden. Für Kinder aus Hartz-IV-Familien in Duisburg oder Wuppertal dürfte es in vielen Fällen am Ende weder Betreuungsgeld noch Kita-Platz geben.

Staatliche Leistungen mit familienpolitischem Hintergrund sind überwiegend pure Geldverschwendung. Ihre Lenkungswirkung ist hoch problematisch, ganz gewiss im Blick auf das geplante Betreuungsgeld. Oder sie verpufft, wo Besserverdienende in ihren Genuss kommen. Dennoch darf man eine verdeckte Agenda unterstellen:

1. Mehr Kinder sind gewollt. Allerdings möchte man die Anreize für bildungsnahe Familien stärken, ihre Kinderzahl zu erhöhen - wobei bildungsnah mit einkommensstark gleichgesetzt wird. Die immer noch skandalöse Einführung des Elterngeldes dokumentiert dies eindrücklich. Die alleinerziehende Hartz-IV Mutter hat davon nichts, mag sie auch noch so gut ausgebildet sein und allein auf Grund ihrer drei kleinen Kindern und eines mangelhaften Kita-Angebotes keine Arbeitsmöglichkeit haben. Die Millionärsgattin dagegen erhält vom Staat ein aus ihrer Sicht höchst bescheidenes Taschengeld, das kaum geeignet ist, ihre Bereitschaft zum Kinderkriegen zu erhöhen.

2. Jede Entwicklung, die die materielle Situation von Hartz-IV-Empfängern verbessern könnte, wird im Keim erstickt, mögen die betroffenen Kinder auch noch so sehr darunter leiden. Man will um jeden Preis den Druck aufrechterhalten, auch den miesesten Job anzunehmen. Vornehmer ausgedrückt: man möchte die arbeitsmarktpolitischen Effekte der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht aufs Spiel setzen.

Sozialchauvinismus

Hinter all dem treibt das manchmal sehr offene Vorurteil die Dinge in eine unsoziale Richtung voran, mehrere Millionen Menschen, die auf Hartz-IV angewiesen sind, könnten nicht mit Geld umgehen. Wer dagegen viel hat, dokumentiert damit anscheinend seinen souveränen und verantwortungsvollen Umgang mit Geld. Dies qualifiziert ihn offenbar für den Erhalt staatlicher Leistungen, auf die er überhaupt nicht angewiesen ist. Da man Geld nur einmal ausgeben kann, fehlt das Bakschisch für die Besserverdienenden natürlich an anderer Stelle, z.B. für sinnvolle Projekte wie den Ausbau einer angemessenen Bildungsinfrastruktur.

Gewiss gibt es unter Hartz-IV-Empfängern solche, die sich trickreich Gelder erschwindeln, die ihnen eigentlich nicht zustehen oder die ihr Hartz-IV-Einkommen durch lukrative Schwarzarbeit kräftig aufbessern. Lebensfremd wäre es, zu behaupten, unter den immer noch viel zu zahlreichen Menschen, die auf Hartz-IV angewiesen sind, gäbe es keine größere Anzahl, die nicht mit Geld umgehen kann. Schaut man sich allerdings die Schäden an, die Vermögende und Hochqualifizierte an der Allgemeinheit fabrizieren, wird sehr schnell deutlich, dass diese in keinem Verhältnis zu den Verlusten stehen, die sog. „Sozialmissbrauch“ verursacht. Das Kapital, dass durch Finanzspekulation vernichtet oder durch Steuerhinterziehung dem Staat vorenthalten wurde, übersteigt den gesamten Sozialetat um ein Vielfaches. Durch bestimmte Boulevardmedien und Fernsehkanäle befeuert wird der „Eierdiebstahl“ einiger Hartz-IV-Bezieher skandalisiert und der gelungene „Bankraub“ von Mitgliedern der sog. Eliten als naturgesetzlich gegeben hingenommen.

Sozialpolitik sollte eigentlich die wachsenden sozialen Unterschiede in unserem Land reduzieren und die Lebenschancen von Menschen gerade am unteren Ende der sozialen Skala verbessern. Das Gezerre um das Betreuungsgeld zeigt, dass immer noch allzu Viele eher das Gegenteil anstreben. Es ist bedrückend, das Kinder aus Hartz-IV-Familien in ihren Augen offenbar weniger wert sind, als solche aus vermögenden Verhältnissen.

 

 

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