Presbyteriumswahlen 2012:
Die Agonie einer Kirchenverfassung

Von Hans-Jürgen Volk

Einst war die presbyterial-synodale Ordnung so etwas wie der „Markenkern“ der Ev. Kirche im Rheinland. Spätestens die Presbyteriumswahlen 2012 dokumentieren, dass sich diese einstmals basisorientierte Kirchenverfassung dem Zustand der Agonie nähert. Jeder, dem diese Landeskirche auf Grund ihrer Grundordnung am Herzen liegt, kann über den Ausgang der Wahlen nur betrübt sein. Besorgniserregend ist noch nicht einmal so sehr die magere Wahlbeteiligung von landeskirchenweit 11,5%. Da gab es in der Vergangenheit noch ärgere Quoten (2004: 10,7% oder 2000 10,3%). Bedrückender ist der Tatbestand, dass bestenfalls in 50% aller Wahlbezirke auf Grund ausreichender Wahlvorschläge überhaupt gewählt werden konnte. (Vgl. hierzu http://www.ekir.de/www/service/hochrechnung-15159.php). 

Angepasste Kirche in einem zunehmend postdemokratischem Umfeld

Sinkende Wahlbeteiligungen gibt es seit Jahrzehnten bei politischen Wahlen. Die Zeiten sind lange vorbei, als Familien und ganze Nachbarschaften fiebernd vor dem Fernseher der ersten Hochrechnung entgegensahen und zumindest bei Bundestagswahlen eine Wahlbeteiligung von über 90% erzielt werden konnte. Nur eine kleine Minderheit glaubt noch daran, durch die eigene Stimmabgabe entscheidenden Einfluss auf das politische Geschehen ausüben zu können. Parteien lassen sich heute coachen von Beratern wie Berger oder Mac Kinsey. Misserfolge bei Wahlen oder Tiefpunkte bei Meinungsumfragen werden als „Vermittlungsprobleme“ dargestellt, denen man in der Regel mit „verbesserten Kommunikationsstrategien“ begegnen will. Politische Leidenschaft wird durch Marketing ersetzt, der Wähler und die Wählerin als politische Subjekte konsequent missachtet. Die zunehmende soziale Spreizung macht es finanzstarken Interessengruppen leicht, ihre Anliegen durchzusetzen. Politik wird weitaus mehr durch „Märkte“ bestimmt, die es zu beruhigen gilt, als durch Wählerinnen und Wähler, mögen sie auch noch so unruhig oder auch, was die Situation in Deutschland weitaus eher kennzeichnet, noch so apathisch und desillusioniert sein. Colin Crouch hat in seinem empfehlenswerten Buch „Postdemokratie“ die skizierten Mechanismen eindrücklich dargestellt.

Werden heute bei politischen Wahlen Beteiligungen zwischen 40% und 60%, in seltenen Fällen einmal an die 70% erreicht, so liegt die Beteiligung bei Kirchenwahlen drastisch darunter. Wenn das Gefühl der Einflusslosigkeit eine der Ursachen für die wachsende Unlust bei der Teilnahme an politischen Wahlen ist, dürfte dies bei Kirchenwahlen verstärkt gelten. Mit meiner Stimmabgabe entscheide ich zwar über Personen, die für eine Gemeindeleitung kandidieren, aber keineswegs über grundsätzliche Fragen. Dass einfache Kirchenvolk ist ohne Einfluss bei wichtigen Strukturfragen, es muss zudem damit leben, dass die Leitungsgremien, die es wählt, durch die Filialisierung der Gemeinden an Einfluss verloren haben. Gibt es im politischen Raum immerhin Überlegungen, durch neue Formen direkter Demokratie Partizipationsmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler zu stärken, so wird in vielen evangelischen Landeskirchen strukturell der Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten der Kirchenmitglieder vorangetrieben. Kurz: die evangelische Kirche wird immer „undemokratischer“ und vermittelt diese Entwicklung auch noch als zukunftsweisende „Kirchenreform“. Norbert Paul schreibt in dem Beitrag „Wahlsonntag ohne Wahl“ für den Internetblog „Ruhrbarone“: „Durch eine in der Demokratie angekommene Kirche sollte – so könnte man denken – aber ein Aufschrei gehen in Anbetracht der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung bei Presbyteriumswahlen weit unter der von politischen Wahlen liegen.“ „Eine Wahl ohne Wahl hinterlässt hinter jeder Entscheidung ein Fragezeichen. Und damit steht auch hinter jeder Wahl einer/s Präses ein großes Fragezeichen und das kann eigentlich keiner der Amtsträger wollen (gleiches gilt für alle anderen gewählten Ämter). Oder nimmt man diese Entdemokratisierung kirchlicher Entscheidungen, Stellenbesetzungen und Stellungnahmen billigend in Kauf?“ (Vgl. http://www.ruhrbarone.de/evangelische-kirche-wahlsonntag-ohne-wahl/)

Eine Art „Klerikalputinismus“ -
oder wie ein Ehrenamt an Anziehungskraft verliert

Man wird getrost davon ausgehen können, dass auch diesmal kein „Aufschrei“ durch die Reihen der Mitglieder höherer Leitungsorgane unserer Kirche gehen wird - und kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Eine ernsthafte Analyse, welche selbstverantworteten Anteile an dem bedrückenden Ergebnis der Presbyteriumswahlen 2012 auszumachen sind, wird auch diesmal ausbleiben. Einer der Lieblingsvokabeln der kirchlichen „Nomenklatura“ ist nämlich der Begriff „steuern“ - gerade auch im Zusammenhang mit synodalen Prozessen.

In der Ev. Kirche im Rheinland dürfte für die Presbyteriumswahlen 2012 die Landessynode 2011 und ihre Vorgeschichte eine Rolle spielen. Es ging damals um die Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF), mit dem die kirchliche Finanzverwaltung nach kaufmännischen Gesichtspunkten umgestellt werden sollte - ähnlich der Doppik im kommunalen Bereich. Gegen dieses Projekt gab es Widerstand und Unwillen auf Grund eines mehr als holprigen Projekteinstiegs und eines Kostenaufwuchses, der alle Prognosen sprengte. Gerade sachkundige Presbyteriumsmitglieder fragen sich bis heute, wie dieses hochkomplexe System NKF gedeihlich in der gemeindlichen Gremienarbeit umgesetzt werden soll. Der landeskirchenweite Unmut über die drohende NKF-Einführung spiegelte sich in keiner Weise im Ergebnis der entscheidenden Abstimmung auf der Landessynode 2011 wieder. Der Antrag des Kirchenkreises Jülich, der sich statt NKF für die erweiterte Kameralistik einsetzte (,womit man im vertrauten System geblieben wäre, die annähernd gleichen Ergebnisse im Blick auf Transparenz und Abbildung der Vermögensentwicklung kirchlicher Körperschaften erreicht und deutlich weniger Kosten verursacht hätte), wurde abgeschmettert. Erneut stimmte man ungeachtet des Widerstandes der Basis mit zwanghafter „Einmütigkeit“ für ein teures und höchst zweifelhaftes Abenteuer. Es gibt genügend Indizien, die dafür sprechen, dass sich zahlreiche Ehrenamtliche dem NKF-Stress nicht aussetzen wollten und deswegen eine Kandidatur bei den Wahlen 2012 abgelehnt haben.

Die Entwicklung des Jahres 2011 bis zur Landessynode im Januar 2012 belegt, dass die Anhänger einer „gelenkten Kirchendemokratie“ die Oberhand haben. Um den Unmut der Basis zu kanalisieren, fanden 2011 vier Regionalkonferenzen zu den umstrittenen Themen Personalplanung und Verwaltungsstrukturreform statt. Auf diesen Regionalkonferenzen wurde nicht nur sachliche Kritik an den geplanten „Reformprojekten“ geäußert, deren Umsetzung auf einen weiteren Bedeutungsverlust der Presbyterien hinauslaufen würde. Verbreitet stieß der Reformprozess insgesamt auf große Skepsis, sodass Oberkirchenrat Rekowski sogar eine „Vertrauenskrise“ konstatierte. Dessen ungeachtet stand das Bemühen der Organe der Landeskirche im Vordergrund, den Diskussionsprozess zu kontrollieren und den Kern der Reformpläne durch kleinere Zugeständnisse zu retten. Alternative Positionen wurden in kircheneigenen Medien wie Chrismon-plus oder ekir-info totgeschwiegen. Im offiziellen Diskurs blieb die „Nomenklatura“ unter sich. Von zahlreichen Presbyterien waren Anträge an Kreissynoden gestellt worden, die substantielle Korrekturen oder zumindest eine Denkpause bei den umstrittenen Reformprojekten forderten. Fast ein Drittel aller Kirchenkreise stellten entsprechende Anträge an die Landessynode. In zahlreichen anderen Kirchenkreisen wurden ähnliche Anträge von Presbyterien nur auf Grund des erbitterten Widerstands von Kreissynodalvorständen und insbesondere von Superintendenten - teilweise äußerst knapp - abgelehnt.

Einst galt das Presbyterium als das vornehmste Leitungsgremium in der Ev. Kirche im Rheinland, auch deswegen, weil seine Mitglieder in der Regel durch Gemeindewahl bestimmt und alle anderen Leitungsebenen aus den Presbyterien gebildet werden. Die Leitungsorgane der Kirchenkreise und der Landeskirche verfügen nur über eine indirekte demokratische Legitimation. Die Landessynode 2012 hat durch ihr Abstimmungsverhalten, das durchaus an die „Volkskammer“ erinnert, ihre Missachtung gegenüber Presbyterien und dem Presbyteramt ausgedrückt. Mit kosmetischen Korrekturen wurden die umstrittenen Beschlussvorlagen zur Personalplanung und zur Verwaltungsstrukturreform verabschiedet. Gegenstimmen gab es in noch geringerem Umfang, als 2011 bei Thema „NKF“. Man könnte fast glauben, dass die Landessynode einem bestimmten Grundmuster folgt: Je größer der Widerstand der Basis, desto „einmütiger“ wird ihr Abstimmungsverhalten. Die Botschaft an die ehramtlichen Presbyteriumsmitglieder an der Basis ist klar: Ihr könnt machen, was ihr wollt, wir ziehen unser Ding durch!

Dass gerade engagierte Ehrenamtliche so die Lust verlieren und sich für ein Engagement statt im Presbyterium bei Greenpeace, Amnestie oder im örtlichen Gesangverein entscheiden, wo sie mehr Respekt erfahren, wird anscheinend in Kauf genommen.

Verlust an demokratischem Bewusstsein

Man mag sich mit Recht Sorgen um die Zukunft der Presbyterien. Die Umstände der Wahl 2012 sind zudem keineswegs geeignet, Optimismus zu fördern. Die beschämend geringe Wahlbeteiligung von gerade einmal 11,5% wurde bereits erwähnt, ebenso der noch besorgniserregendere Umstand, dass nur in der Hälfte aller Wahlbezirke überhaupt eine Wahl stattfand. In etlichen Presbyterien konnten noch nicht einmal die vorhandenen Sitze in vollem Umfang besetzt werden. Zudem war eine Wahl selten zuvor so aufwendig und bürokratisch. Dabei hatte man die Veränderungen der Presbyterwahlordnung groß als Vereinfachung vermittelt. Was man strich, war lediglich eine zuvor vorgeschriebene Gemeindeversammlung am Beginn des Wahlverfahrens, mit dem die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten eingeleitet wurde und den Vertrauensausschuss, dessen Aufgabe im Aufstellen einer ausreichenden Vorschlagliste bestand - diese Funktion wurde dem noch amtierenden Presbyterium übertragen. Man strich also Möglichkeiten der Einflussnahme von Gemeindegliedern und damit basisdemokratische Elemente. Gab es in der Vergangenheit einige ausgesuchte Gemeinden, die statistisches Material für eine Hochrechnung lieferten, so mussten diesmal alle Wahlvorstände neben dem Wahlvorgang Statistiken ausfüllen. Ein Irrsinn sondergleichen, der selbst gutwilligen Menschen die Lust auf Wahlen dieser Art nimmt und Mitarbeiter im Landeskirchenamt mit einem Papier- und Zahlenwust eindeckt, dessen Auswertung das vermutete und eigentlich allen bekannte Ergebnis bestätigen wird: bei Presbyteriumswahlen sind die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler deutlich über 60, Jugendliche nehmen kaum an Presbyteriumswahlen teil, etwas mehr als die Hälfte aller Presbyteriumsmitglieder sind Frauen.

Die kirchliche „Nomenklatura“, also jener Kreis von kirchenleitenden Theologen und Juristen, die materiell bestens abgesichert bar aller Existenzsorgen die Geschicke der Kirche bestimmen, wird dies kaum anfechten. Wie diese mehrheitlich gestrickt sind, dokumentiert der EKD-Text 112 mit dem Titel „Evangelische Verantwortungseliten“ (http://www.ekd.de/download/ekd_texte_112.pdf). Die Zuneigung derer, die in der Finanzwelt, der Wirtschaft oder in Medienunternehmen das große Rad drehen, ist ihnen weitaus wichtiger als die Befindlichkeit und der Wunsch nach Mitgestaltung des einfachen Kirchenvolkes. Eine bedenkliche Distanz zu demokratischem Denken wird hier sichtbar, in dem das Volk der Souverän ist - und keineswegs irgendwelche Verantwortungs-, Leistungs- oder Funktionseliten -.


Jesus sagt dagegen:

Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun.

So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener;

und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht,

so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Matthäus 20,25-28

 

 

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