Soll Verwaltung dienen oder leiten?
Von Manfred Alberti
(Die nachfolgenden fragenden Gedanken beziehen sich auf das vom Kollegium des LKA am 14.6.2011 verabschiedete „Sollkonzept zur Verwaltungsstrukturreform“. Zu finden unter www.ekir.de /Verwaltungsstruktur / Diskussionspunkte / Kollegiumsbeschluss Verwaltungsstruktur. Leider gibt es im Bereich der Verwaltungsstrukturreform trotz des Synodenauftrages der LS 2011 noch keine „Vorläufigen Beschlussvorlagen“, auf die man sich in der Diskussion konkret beziehen könnte.)
1.) Grundsätzliche Anfrage: Vom Sekretariat zur Leitung
So kann man kurz zusammengefasst den zentralen Inhalt des Sollkonzeptes zur Verwaltungsstrukturreform auf den Punkt bringen.
Neben der presbyterial-synodalen Leitung unserer Kirche soll es in Zukunft eine eigene Säule mit Leitungsfunktionen geben: „Verwaltung“. Ihr sollen gesetzlich Entscheidungsrechte übertragen werden, die bislang den Presbyterien und Kreissynodalvorständen zustanden. (Punkt 9, S.9)
Der Verwaltung sollen Entscheidungen „der laufenden Verwaltung“ bis in einer noch festzulegenden Größenordnung (vielleicht 10 000 € wie in Kommunalverwaltungen siehe Seite 9?) gesetzlich übertragen werden. Solche Übertragung der Verantwortung soll nicht im Einzelfall (z.B. Wahlperiode eines Presbyteriums oder einer Synode) von den Presbyterien oder Kreissynoden genehmigt werden, sondern die Finanz-, Personal-, und Gebäudeverantwortung bis zu dieser Größe soll grundsätzlich durch Gesetz in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung überführt werden. (Punkt 9, S.9f)
Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Superintendenturen sollen zwangsweise der Verwaltung des Kirchenkreises angeschlossen werden, so dass die Verwaltung des gesamten Personals, der Kirchengebäude, der anderen Immobilien und der Finanzen konsequenterweise an dieses Verwaltungsamt übergeht.
Den Verwaltungen soll ein Finanzrahmen gesetzlich zugebilligt werden, in dem die Verwaltung selbständig über Personalangelegenheiten, über Renovierungen, Investitionen und Gemeindeaktionen etc. entscheiden kann. Den Presbyterien (und Kreissynodalvorständen!) werden in diesen noch festzulegenden Größenordnungen die Kompetenzen entzogen. So werden die Verantwortlichkeiten eines Presbyteriums und eines Kreissynodalvorstandes immer weniger.
Dass auf Dauer diese finanziellen Größenordnungen immer wieder erhöht werden können, wenn der Grundsatzbeschluss erst einmal gefallen ist, sei nur am Rande erwähnt.
Das bedeutet:
Die Verwaltung wird zusätzlich ein neues Leitungsorgan mit Entscheidungs-vollmachten. Aus der presbyterial-synodalen Leitung unserer Gemeinden und Kirchenkreise wird in wichtigen Bereichen eine Leitung durch die Verwaltung.
Damit dient die Verwaltung nicht mehr als „Schreibtisch des Leitungsorgans“ (Sollkonzept S.2), sondern soll eigenständige Leitungsaufgaben bekommen. Das widerspricht dem Grundgedanken, dass Verwaltung Dienstleistung sein soll.
(Zur Klarheit: Gegen die Übertragung von Verantwortung in einem gewissen Finanz-rahmen ist nichts zu sagen, wenn die Übertragung konkrete Zeiten (z.B.: Wahlperioden) oder konkrete Aufgaben umfasst und jederzeit wieder rückholbar ist in das entscheidende verantwortende Gremium. Hier geht es aber um eine gesetzliche, dauernde Übertragung von Rechten der Gemeinden, Presbyterien und Kreissynodalvorstände auf die Verwaltung.)
2. Einzelne Anfragen
2.1.) Kompetenz der Verwaltungsmitarbeitenden
Einige kritische Vorbehalte muss man dem enthusiastischen Lob der Verwaltungskompetenz (Punkte 3 und 4, S. 6f) entgegenhalten:
2.1.1.) In den einzelnen Gemeinden, ihren Gebäuden, Personal- und Finanzstrukturen kennen sich PresbyterInnen, MitarbeiterInnen und PfarrerInnen wesentlich besser aus als MitarbeiterInnen einer zentralen Kirchenkreisverwaltung. Es erscheint absurd, Finanz-, Personal- und Gebäudeverantwortungen aus den Presbyterien und Gemeinden heraus an Verwaltungsmitarbeiter eines evtl. weit entfernten Kirchenkreisamtes zu übertragen. Selbst wenn kompetente Beratung und Verwaltung angeboten werden, darf die Verantwortung über Minibeträge hinaus nicht an einen Mitarbeiter der Verwaltung delegiert werden.
2.1.2.) Bei aller Hochachtung vor den beruflichen Kompetenzen der Mitarbeiter in den Verwaltungen, auch der Spezialisten wie Architekten etc., gibt es in vielen Gemeinden PresbyterInnen und ehrenamtliche MitarbeiterInnen, die aus ihren beruflichen Erfahrungen eine erheblich höhere Kompetenz in speziellen Fragen mitbringen. Angesichts der Verdienstmöglichkeiten in kirchlichen Bereichen ist es fraglich, ob man überhaupt die erforderlichen sehr gut qualifizierten Mitarbeiter für die Kreisverwaltungsämter anwerben könnte.
2.1.3.) Man wird davon ausgehen müssen, dass angesichts der Komplexität und der Vielzahl der Entscheidungen in einem kreiskirchlichen Verwaltungsamt viele Entscheidungen von der Leitungsebene auf die Ebene des Sachbearbeiters delegiert werden. Das bedeutete, dass an Stelle des Presbyteriums, des gemeindlichen Verwaltungsausschusses oder der Kombination von Kirchmeister und Presbyteriumsvorsitzendem nun der Gemeindesachbearbeiter im Verwaltungsamt eine Vielzahl von Entscheidungen treffen darf.
2.1.4.) Verwaltungsmitarbeiter sind ausgebildet in Verwaltung. Das mögen sie hochkompetent machen, aber ist es unserer Kirche angemessen, Entscheidungen, die ja immer auch einen theologischen oder gemeindekonzeptionellen Hintergrund haben, von Presbyterien auf Verwaltungsmitarbeiter zu übertragen?
2.2.) Zwang statt Freiwilligkeit
2.2.1.) Gemeinden, die nicht freiwillig einem Verwaltungsamt beigetreten sind, dürften sehr gute Gründe haben für ihre Weigerung. Solche Gründe sind zu respektieren, solange eine Gemeinde ihre Aufgaben erfüllen kann.
2.2.2.) Ein Zwangsbeitritt zu einem Verwaltungsmonopol eröffnet dieser Verwaltung kaum eingrenzbare Möglichkeiten der Vergrößerung, der Ausweitung und der Verteuerung. Keine Gemeinde kann mit Austritt drohen, wenn die Verwaltungskosten steigen und immer mehr der Gemeindefinanzen auffressen. Die Verwaltungskosten müssen in der Höhe, wie sie die Verwaltung vorgibt, vorher als Umlage abgeführt werden. Es entfällt jede Konkurrenzsituation: Gegen Preiserhöhungen, Verwaltungsausdehnungen und schlechte Bedienung haben die Gemeinden kaum noch eine Handhabe.
2.3.) Zentralverwaltung teurer als dezentrale Verwaltung mit weniger Hierarchie
Bei vielen Entscheidungsprozessen über die Verwaltungsstruktur erweist sich, dass die größeren Verwaltungsämter wegen ihres hohen Stellenkegels deutlich teurer sind (sein müssen) als kleine Einheiten. Synergieeffekte verpuffen.
2.4.) Kontrolle
Der Abschnitt 7 (Seite 7) über Aufsicht und Kontrolle scheint mir sehr undurchsichtig zu sein.
Wer kontrolliert die Verwaltung? Da innerhalb der Kirche nur die Verwaltung selbst kompetente Fachleute vorhielte, müsse dann auch logischerweise die Kontrolle durch die Verwaltung selbst erfolgen („Innenrevision statt Aufsicht“).
Soll der Verwaltungsleiter sein einzig kompetenter Kontrolleur sein?
Ist es sinnvoll, dass die ausführende Behörde gleichzeitig die genehmigende Behörde ist?
Müssen dann die presbyterial-synodal Verantwortlichen wie Superintendent, Kreissynode oder Landeskirche nichts mehr genehmigen?
2.5.) Verwaltungsvereinfachung
Verwaltungsvereinfachung gilt seit Jahren als ein wichtiges Ziel von Verwaltungsreformen.
Die Kompliziertheit der angedachten kirchenkreislichen Personalplanung zeugt vom Gegenteil. Das erleben wir im Moment auch bei der Gebäudestrukturanalyse. Die landeskirchenweit vorgeschriebene Gebäudestrukturanalyse häuft einen riesigen Datenberg an, der zu einem großen Teil längst überholt ist, wenn die Daten gebraucht werden und relevant sind. Statt die Daten erst dann aktuell zu erheben, wenn sie benötigt werden, setzt man sich zum Ziel, jedes Gebäude ausführlichst von ausgewählten Experten zu begutachten und sehr qualifiziert dokumentiert zu haben. Wozu? Damit jederzeit oben alle Daten vorliegen, um von oben (über die Köpfe der Gemeinden hinweg) Entscheidungen (Z.B. über Kirchenschließungen) fällen zu können?
Es stellt sich die Frage, ob nicht für die Verwaltungen von Gemeinden viele komplexe Verwaltungsverfahren (auch NKF) einfach überdimensioniert sind. In ihrer Komplexität und durch die sie verursachenden Kosten sind sie wenig hilfreich.
Reformen, die eine Ausweitung der Verwaltung zur Konsequenz haben und damit immer mehr Mittel binden, die der praktischen Gemeindearbeit fehlen, sind für unsere Kirche kontraproduktiv.
2.6.) Zentrale Ämter verursachen eine Menge ‚weiche‘ Kosten, die nicht in Kosten- und Strukturplänen auftauchen:
- Hohe Fahrtkosten und Fahrtzeiten von Gemeindemitarbeiter, PfarrerInnen und Presbytern zu zentralen Ämtern mit Parkproblemen in Innenstädten.
- Hohe Fahrtkosten und Fahrtzeiten der Verwaltungsmitarbeiter bei Besuchen in den Gemeinden.
- Komplizierte Dienstwege statt spontaner Lösungen.
- Zeitaufwändige Verfahren statt kurzer Dienstwege.
2.7.) Ehrenamtliche Arbeiten, wie sie von Gemeindegliedern oder PresbyterInnen in Gemeindeämtern geleistet werden, entfallen:
- z.B. Druck des Gemeindebriefes auf der gemeindeeigenen Druckmaschine
- z.B. handschriftliche Eintragung der Amtshandlungen in Kirchenbücher.
Während in der Wirtschaft längst Abschied genommen wurde von größeren Organisationseinheiten und seit Jahren wieder kleinere überschaubare Einheiten als sinnvolles Maß angesehen werden, ist die Verwaltungsstrukturreform ein Markstein auf dem Weg zu einer Verwaltungskirche, statt dass Kirche ihre Verwaltungskosten minimiert.