Wachstumskritik eines Verdächtigen

Anmerkungen zu Meinhard Miegel: Exit - Wohlstand ohne Wachstum

Von Hans-Jürgen Volk

Nach dem ersten Eindruck könnte man meinen, hier propagiere einmal mehr eine den „Wirtschaftseliten“ nahestehende Person die Parole „Wir müssen den Gürtel enger schnallen!“ - Verdächtig ist eine derartige Parole allein schon deshalb, weil diejenigen aus dem Kreis der Vermögenden und Lobbyisten, die sie in der Vergangenheit vertreten haben, sie ausschließlich auf den Kreis der abhängig Beschäftigen und der EmpfängerInnen von Transferleistungen angewandt wissen wollten - darüberhinaus auf den Staat, für dessen „Verschlankung“ man plädiert. Doch Miegel hat mehr zu bieten. Es wäre kleinlich, ihm eine redliche Sorge um die Zukunft unseres Planeten abzusprechen. Zu sehr bewegt er sich entgegen den ökonomischen und politischen Mainstream als ein konservativer und durchaus unbequemer Wachstumskritiker.

Wenn von Wirtschaftswachstum die Rede ist, so meint man damit das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, also den Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres z.B. in Deutschland hergestellt werden. Dieser Wachstumsbegriff ist allerdings blind gegenüber den sozialen und ökologischen Folgen der Güterproduktion. Er ist außerdem nicht nachhaltig, da er den Verbrauch endlicher natürlicher Ressourcen nicht abbilden kann.

Umweltschäden wie die Havarie der BP-Ölplattform im Golf von Mexiko oder durch den Klimawandel verursachte Katastrophen tauchen in der Bilanz nicht auf. Im Gegenteil, da intensive ökonomisch wirksame Anstrengungen nötig sind, um die Schäden zu beseitigen, kann das Wirtschaftswachstum sogar steigen. Miegel stellt diese Problematik überzeugend dar und wendet sich mit Recht gegen die Vorstellung, dass Wachstum ein hinlänglicher Wohlstandsindikator ist.
Wirklich neu sind diese Erkenntnisse nicht. Manchmal hat man den Eindruck, da melde sich ein Herbert Gruhl zu Wort, der 1975 mit seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“ in ähnlicher Weise Wachstumskritik übte. Miegel argumentiert jedoch allgemein gegen „Wachstum“, ohne den Diskurs, den es seit Gruhl gegeben hat, auch nur annähernd wahrzunehmen. Die Frage ist, welche Güter und Dienstleistungen in welcher Weise hergestellt und angeboten werden. Wachstum wird eben auch generiert durch Windparks, Photovoltaikanlagen oder die Produktion von Fahrrädern. Gerechtfertigt ist Miegel allerdings dadurch, dass das Führungspersonal in der Politik und erst recht in der Wirtschaft ähnlich pauschal mit dem Wachstumsbegriff umgeht. Allerdings wird hier Wachstum als Allheilmittel angepriesen. In Sonntagsreden fordert man nachhaltiges Wachstum, in der Praxis jedoch gibt es Ressourcenverschwendung durch Abwrackprämien und Freude über die steigende Beliebtheit deutscher Oberklassewagen bei wohlhabenden Chinesen.

Miegel kritisiert mit Recht die materielle Ausrichtung der gängigen Vorstellung von Wachstum und Wohlstand. Im zweiten Teil seines Buches beginnt er eine gewiss wichtige Wertediskussion, in dem er für ein besseres Leben jenseits materieller Zuwachsraten plädiert und gleichzeitig die „weitgehende  Monetarisierung fast aller Lebensbereiche“ beklagt. Die strukturellen und ökonomischen Voraussetzungen, um zu einem derartigen Lebensstil zu gelangen, bleiben bei Miegel allerdings seltsam vage. Die Vorstellung, dass Naturverbrauch und die Endlichkeit von natürlichen Ressourcen in die Preisbildung von Produkten mit einfließen müssen, findet sich ähnlich, allerdings wesentlich konkreter bei Gruppierungen wie Attac. „Materielle Wohlstandsmehrung ist Wirtschaftswachstum abzüglich aller Kosten, die es in der belebten und unbelebten Natur verursacht.“ schreibt Miegel. - Völlig richtig, was aber macht man mit dieser Erkenntnis?

Bei Miegel bleibt es trotz interessanter Ansätze letztlich bei individualethischen Appellen. Arbeitslose, abhängig Beschäftigte sowie Rentnerinnen und Rentner werden eingestimmt auf weitere materielle Einbußen. Dies geht einher mit einer unerträglichen Relativierung von Armut, indem Miegel zum Beispiel behauptet, die Kaufkraft eines heutigen Hartz IV-Empfängers sei die gleiche wie die eines Arbeitnehmers mit Durchschnittseinkommen in den 60-er Jahren. Klar, möchte man entgegnen, der Lebensstandard der Menschen im Neolithikum war mitunter durchaus niedriger als der der Armen im heutigen Bolivien. Nebelkerzen wirft Miegel, indem er zwar die Stagnation der Massenkaufkraft seit Beginn der 90-er Jahre anerkennt, diese aber nicht etwa auf die systematische Schwächung der Gewerkschaften, die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten und eine höchst unsoziale Steuerpolitik zurückführt, sondern darauf, dass es Wachstum eben nicht mehr bringt. Dass im gleichen Zeitraum die Erträge aus Kapital- und Produktivvermögen enorm gestiegen sind, ignoriert er vornehm. Umzuverteilen gibt es nichts, da die wirklich großen Vermögen in Anlagen und Beteiligungen gebunden seien, behauptet Miegel scharf an der Realität vorbei. Widerlegt wird er durch Hochvermögende wie Bill Gates und andere, die im Moment einen großen Teil ihres Kapitalbesitzes spenden wollen. Dass das ungesunde Kapitalvolumen bei Finanztranskationen eben nicht nur auf Aktienhandel zurückzuführen ist, sondern vor allem auch auf alle möglichen und unmöglichen „Finanzprodukte“, mit denen Wohlhabende, die sich Verluste leisten können, recht gerne rumspielen, ist für Miegel ebenfalls kein Thema.

Miegel hat auf dem sozialen Auge erhebliche Sehstörungen. Er ahnt zwar, dass Gesellschaften, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, gerade in seinem Sinne nicht zukunftsfähig sind. „Gefordert sind vor allem diejenigen, die ohne größere Einschränkungen vorangehen können.“ - so sein Appell an die „Besserverdienenden“, eine Vorbildfunktion im Blick auf Bescheidenheit und einen ökologisch angepassten Lebensstil zu übernehmen. „Die Erkenntnis, dass für jeden Erdenbürger nur eine sehr beschränkte Menge an irdischen Gütern zur Verfügung steht, ist für sie schwer erträglich.“ - so seine realistische Beschreibung, die allerdings sein ganzes Projekt in Frage stellt.

Konsequent wäre es, diese sehr richtige Erkenntnis in politisches und ökonomisches Handeln umzusetzen. Denn solange Vermögende mit ihren Ps-starken Geländewagen durch Innenstädte brausen, sich Villen mit Swimmingpool leisten und mal kurz zum Einkaufen nach New-York fliegen, kann man der übrigen Bevölkerung kaum wirksam Bescheidenheit vermitteln. Das Selbe gilt auch im globalen Maßstab. Solange Reiche Nationen nicht bereit sind zu einem wirksamen Finanzausgleich mit den unterentwickelten Ländern, werden Klimakonferenzen nicht wirklich erfolgreich sein. Sozialer Ausgleich ist die Grundlage dafür, die ökologischen Probleme auf unserem Planeten wirksam anzugehen.

Bis heute werden die Globalisierung und der demographische Wandel im Rahmen einer manipulativ geführten Standortdebatte ins Feld geführt, um Sozialstaatlichkeit zu reduzieren und von abhängig Beschäftigten Opfer zu verlangen. Anregend ist an Miegel, dass er sich gegen diese Standortdebatte wehrt. Die soziale Schieflage in seiner Argumentation macht ihn aber verdächtig, nunmehr im Blick auf die ökologischen Probleme des Planeten Gleiches bewirken zu wollen.

Verdächtig ist Miegel auch deshalb, weil er auch jetzt noch die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. Jahrzehntelang warb er für den Umbau der Sozialsysteme im Sinne von mehr Eigenverantwortung. Mit Recht bezeichnet er jetzt die Akteure auf den internationalen Finanzmärkten als „Spieler und Schaumschläger“. Im Blick auf die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise schreibt er: „Solche Zusammenbrüche sind Teil der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der Spiel- und Wette eine wichtige Rolle zukommen. Allein seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es mindestens fünf solcher Wirtschafts- und Finanzkrisen …“ Es ist ziemlich unethisch, trotz dieser richtigen Erkenntnisse die private Altersvorsorge genau diesen Spielern und Schaumschlägern anzuvertrauen.

Wie soll der Aufbau von Vermögen für den Lebensabend ohne langfristiges Wachstum eigentlich funktionieren?

Glaubwürdig wäre der Wachstumskritiker Miegel, wenn er deutlich Abstand nehmen würde von seinen bisherigen Thesen zum Umbau der Sozialsysteme und insbesondere zur Altersvorsorge.

 

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